Sonnabend, der 22. Juli. Am Morgen gelesen: „Warum ich schreibe“, ein Essay von George Orwell. Insofern originell, als er den Egoismus als Triebfeder schreibender Menschen betont, als eine von vier entscheidenden Motivationsmöglicheiten: „Der Wunsch, überlegen zu erscheinen, jemand zu sein, über den man spricht, und den man auch nach seinem Tod nicht vergisst; den Erwachsenen die Nichtachtung heimzuzahlen, die sie einen als Kind haben fühlen lassen etc. etc. Leugnen zu wollen, dass das ein Grund ist [zu scheiben], und zwar ein sehr starker, ist einfach lächerlich.“
Die anderen Antriebe sind laut Orwell „Ästhetischer Enthusiasmus“, „Sinn für Geschichte“ und „Politisches Engagement.“ Ich bin nicht sicher, ob ich mich darin verorten kann, es fehlt meiner Meinung nach eine fünfte, wichtige Motivation: „Kann nichts anderes.“ Aber gut, ich schreibe auch keine Romane, vielleicht sind Blog-Motivationen schlicht eine andere Kategorie.
In dem Buch „Schreibtisch mit Aussicht“, ich sehe es später am Tag, greift Joan Didion diesen Essay von Orwell ebenfalls auf und zitiert ihn, einen so schönen Lesezufall hatte ich schon lange nicht mehr. Faszinierend.
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Man sucht es sich nicht aus, aber diese bescheuerte Berliner Wildschweinlöwin war jetzt das erste Event, Ereignis, Meme, was auch immer, das außerhalb von Twitter ein Interneterlebnis war, das Twitter in etwa entsprach. Auf Mastodon wurden alle in solchen Situationen nach alter Tradition erforderlichen Scherze in Bild und Text und Video vollumfänglich durchdekliniert. Ich fand es zwar nicht witzig und eher vollkommen überflüssig, aber da war es eben, das erste Twittererlebnis ohne Twitter. Die Welt dreht sich weiter, der Mensch scrollt weiter. Okay, haben wir das.
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Ich wecke die Familie früher als sonst, es ist ein Reisetag. Gepackte Koffer im Flur, letzte Umentscheidungen bei der Lektürewahl, das übliche Suchen nach den verdammten Versichertenkarten der Söhne etc. An den Steckdosen hängen bis zur letzten Minute noch die vier Powerbanks. Wir raffen alles zusammen, wir sehen fünfmal nach, ob der Herd aus ist. Wir gehen zum Bahnhof.
Der Zug fällt aus, es fährt ein nicht baugleicher Ersatzzug, sämtliche Reservierungen gelten daher nicht. Der Rest dieses Blogartikels geht entsprechend in tumultartigen Szenen unter. „Sie sitzen auf unseren Plätzen!“ „Nein!“ „Doch!“ „Oh!“
Wir erreichen mit erheblicher Verspätung irgendwann tatsächlich München. Die Reservierungsdialoge der sich streitenden Reisenden wiederholen sich unerbittlich bei jedem Halt, es ist auf Dauer etwas ermüdend. Es waren außerdem an mehreren Stellen, vor mehreren Städten „Personen im Gleis“, von Wanderern war da sogar einmal die Rede, als sei das ein neuer Volkssport. Komm, wir gehen heute einmal die Gleise entlang nach Süden.
Was ist mit den Leuten, immer wieder diese Frage, was ist mit den Leuten.
Wir gehen nach der Ankunft in München stracks zu unserer gewohnten Autovermietung, denn wir haben das damals, vor Corona, alles schon mehrfach gemacht. Wir erinnern uns routiniert, wir kennen uns aus, wir sind Reise-Topchecker, wir haben minutiös geplant. Aber da, wo die Vermietung war, da steht jetzt ein Bagger und sonst nichts mehr.
Urlaubszeit immer auch Abenteuerzeit, alte Regel.
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Zum Thema Schreiben und Motivation – Ich finde, Martin Walser, Gott hab ihn selig, hat das schön gesagt: „Schreiben ist das einzige, was das Leben erträglich macht.“ Schreiben also als Therapie, um irgendwie mit der Welt da draußen klar zu kommen. Das gilt sicher auch für viele Blogger, jedenfalls für mich. Und so exklusiv („das einzige“) würde ich das nicht sehen, aber ich bin ja kein Schriftsteller …