Sonntag, der 30. Juli, Hamburg. Wir brechen früh aus Meran auf, denn die Stauvorhersage ist apokalyptisch. Es ist dann später aber gar nichts, wir kommen glatt durch wie nie, die Fahrt über den Brenner verläuft ungeahnt entspannt. In der anderen Richtung gab es am Tag vorher noch Aktionen der Letzten Generation, über die ich mich, so war der feste Vorsatz, nicht aufgeregt hätte, wenn sie uns betroffen hätten.
Auf der Fahrt aus dem Etschtal sehen wir einen Gipfel, der wie unverbunden mit der Erde weit oben aus den dichten Wolken ragt, ein riesiges Stück Fels, das wie im Himmel schwebend aussieht, es handelt sich dabei, so sagt ein Sohn, „um eine bodenlose Schönheit“, es ist unser Meraner Abschlussbild.
Wir verfahren uns dann gegen Mittag nicht einmal in München, das wir ungeahnt früh erreichen, obwohl das doch eine stabile Tradition bei uns hat. Heute läuft einfach alles.
Auf der Fahrt im Auto, die Herzdame steuerte diesmal, sehe ich noch in den Nachrichten, dass ein weiteres Unwetter uns am Vorabend verfehlt hat. Am anderen Ende des Etschtals ging es allerdings heftig zu, Gerölllawinen, verschüttete Autos und Straßen. Da, wo wir waren, hat es nur heftig geregnet. Okay, es hat sehr heftig geregnet. Es regnet jetzt oft so, dass man nicht recht weiß, ist das schon unwetterartiger Starkregen, ist es nur ein althergebrachter Platzregen, worauf gucke ich da eigentlich gerade. Man sieht die Auflösung dann am nächsten Tag in den Meldungen der örtlichen Medien.
Wir verlassen die Unwetterzone Südtirol, um wieder in die heimatliche Unwetterzone zu fahren. Die diversen Wetter-Apps schicken mir schon einmal Gewitterhinweise, Windwarnungen, Stark- und auch Dauerregenvoraussagen für den Hamburger Raum, da kann ich mich langsam ein- und umstimmen. Man müsste wohl etwas suchen, um in diesem Monat eine europäische Zone ohne Unwetter aller Art zu finden.
Der Zug ab München fährt pünktlich auf die Minute aus dem Nichtbahnhof ab. Man kann das Bauwerk da wohl erst in ein paar Jahren wieder im Normalzustand sehen, nach wüsten Bauarbeiten im und am Bahnhof, bis dahin ist das alles nicht recht vorzeigbar. Das wird uns in Hamburg auch irgendwann so gehen, aber es scheint doch in weiterer Zukunft zu liegen. Man liest bei uns immer nur von Plänen, Vorstellungen, Absichten, manchmal sieht man auch fantastisch anmutende Bauskizzen. Aber es kommen keine Bagger, noch lange nicht.
Wir haben im Zug ein Abteil nur für uns und hängen daher vergleichsweise entspannt herum, die ganzen sieben Stunden lang. Es ist am Ende doch immer ein langer Reisetag, wenn man alles ohne Zwischenstopp abwickelt. Man kann es so machen, aber mit Station unterwegs, mit Übernachtung irgendwo, ist es viel leichter. Das WLAN im Zug flackert, das WLAN fällt zwischendurch aus, aber das ist so üblich, das kennt man nicht anders, und es gibt sonst keine besonderen Vorkommnisse. Es gibt heute keine Personen im Gleis, keine liegengebliebenen Züge auf der Strecke, kein Fahrplanchaos, keine Umleitungen über Städte, in denen man noch nie war. Bahnfahren wie früher, denke ich mir und nicke rentnerhaft.
Allerdings fällt mir doch sehr auf, wie handlich die Söhne noch waren, als wir zuletzt auf diese Art gereist sind, damals vor Corona, wie leicht sie da noch in einem Abteil zu verstauen waren und wie gut sie an den kleinen Tisch darin passten. Heute steht überall etwas über und mir sind beim Lesen (A.I. Kennedy: Süßer Ernst, Deutsch von Ingo Herzke und Susanne Höbel) dauernd Beine und Arme im Weg, die gar nicht zu mir gehören.
Das war auch eine Erkenntnis im Urlaub, wir müssen, wenn wir wieder zusammen verreisen sollten, eine viel größere Unterkunft buchen. Diese war gerade groß genug für eine Familie mit zwei Kindern, nicht aber für eine mit zwei Teenagern. Da müssen wir definitiv umdenken.
Es kommen nach und nach weitere Unwetterwarnungen auf meinem Handy an und es wird draußen langsam doppelt dunkler. Zum einen neigt sich der Tag, zum anderen wird der Himmel immer schwärzer bewölkt, je weiter wir nach Norden fahren. Zwischendurch klatscht schon reichlich Regen an die Scheiben, um uns auf die kommende Woche einzustimmen. Sturzbäche verwehen waagerecht im Fahrtwind.
Ich bereite herbstliche Musik für das Blog vor, ich aktualisiere Playlists und suche passende Titel. Es ist eine ausgesprochen besinnliche Beschäftigung und ich habe es lange nicht mehr konzentriert gemacht. Der Herbst findet in Hamburg schon in den nächsten zwei Wochen statt, es wird eher kühl sein, es wird regnen, es wird Übergangsjackenwetter sein und das schreckt mich gerade alles nicht. Vielleicht kommt der Sommer danach noch einmal wieder, vielleicht auch nicht, von heute aus betrachte ist das sehr gelassen und finde es ausgesprochen kuschelig, im Zugabteil melancholische Musik zu sortieren.
Nebenbei noch eben die Meran-App vom Handy gelöscht. Seilbahnrabatte kommen nun eine Weile nicht mehr in Betracht.
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„Es regnet jetzt oft so, dass man nicht recht weiß, ist das schon unwetterartiger Starkregen, ist es nur ein althergebrachter Platzregen, worauf gucke ich da eigentlich gerade. Man sieht die Auflösung dann am nächsten Tag in den Meldungen der örtlichen Medien.“
Diesen Satz möchte ich küssen. Oder zumindest mit ihm eine ganze Nacht lang um die Häuser ziehen und mich mit ihm betrinken. Ach, sogar meinen Rauchstopp würde ich für diesen Satz pausieren und eine Selbstgedrehte mit ihm unterm Schirm teilen.
Noch ein anderes Thema: ich bin mehr als je zuvor traurig über den späten Ferienstart in Bayern. Seit dem 30. Juli ist schulfrei, kein einziger Freibadtag seither, nur herbstliche Playlists, Lego und Waffeln backen. Ich habe heute einen Lebkuchen gegessen, den ich bei der Schultombola gewonnen habe – und er hat mir sogar geschmeckt! Sie haben den Urlaub jetzt wenigstens hinter sich. Ich fühle mich um das Sommerferiengefühl 2023 regelrecht betrogen. In diesem Sinne: willkommen zurück daheim. Früher war mehr Lametta.