Von Kneipe zu Kneipe

Ich habe mir, nachdem mir freundlicherweise ein Invite geschickt wurde, Bluesky angesehen, noch so eine Social-Media-Plattform. Wenn man wie ich eine Twitter-Facebook- Etc.-Vergangenheit hat, kann man sich dort leicht seine mehr oder weniger gewohnte Timeline zusammenklicken, aber das konnte ich bei Mastodon auch schon und habe nicht ganz verstanden, warum das einigen so überaus schwergefallen ist. Es sieht ansonsten aus wie Twitter und kann naheliegenderweise ähnliche Dinge wie Twitter, und da viele aus der Timeline dort auch schon vorher auf Mastodon waren oder noch sind, ist es jetzt in etwa so, also sei man auf einer großen Party mit allen Freunden und Bekannten, und die Party zieht dann irgendwann am späten Abend eine Kneipe weiter, wobei man, wer kennt es nicht, ein paar Leute verliert und ein paar dazukommen, woher auch immer. Einige Typen hat man länger nicht gesehen, einige gerade eben erst. Und es ist dann eher egal, wie die nächste Kneipe heißt, aussieht und möbliert ist, man hängt eben immer noch mit derselben Gang herum, mit der man sich gewohnt gut unterhalten kann und immer wieder die alten Witze über die alten Themen macht, nur hat man jetzt nur auf einmal neue Sitznachbarn und hört daher für einen Moment andere Leute reden. Aber das durchmischt sich dann irgendwann auch wieder neu und unterm Strich ist es wohl online so wie offline, die Kneipe ist eigentlich egal, solange der Wirt kein Nazi ist oder auf die Tische kackt. Das Verrückte, das Surreale ist nur, wenn man noch einmal zur ersten Kneipe zurückgeht – dann sind die Leute noch da, mit denen man doch gerade woanders hingegangen ist, und sie führen hier wie da exakt die gleichen Gespräche, sie sagen sogar dieselben Sätze. Unheimlich.

Wenn ich beide Plattformen über Apps auf dem Smartphone betrachte, sind sie für mich kaum zu unterscheiden und ich vergesse nach einigen Scroll-Momenten, wo ich gerade bin. Ich weiß nur, Ex-Twitter kann es nicht sein, denn ich habe die App nicht mehr, aber es sah natürlich auch so aus.

Die Grundfunktion ist und bleibt bei all diesen Diensten simpel, eine schreibt was, eine antwortet, wie auch immer da der Hintergrund designt ist, mir ist das auch recht egal. Ich weiß, einige ziehen sich mit schon erstaunlich emotionalem Einsatz an Detailfunktionen hoch, quoted posts, Listen, Hashtags, Gifs und dergleichen, ich bin da wohl nicht empfindlich. Ich möchte, wenn etwa Frau Novemberregen schreibt, dass sie Hitze doof findet, darunter kurz schreiben können: „Ich auch.“ Außerdem möchte ich posten, wenn ich etwas Neues gebloggt habe, wie andere Bloggerinnen auch. Das können wir so jedenfalls auf allen textbasierten Plattformen, das ist bis dahin simpel und vermutlich leicht reproduzierbar. Das ist der elementare Sinn dieser Dienste im Alltag für mich und ja, ich weiß, man kann das berechtigt anders sehen, journalistische Interessen, politische usw., schon klar. Ich rede nur von mir.

Warum aber auf Bluesky so viele und so oft schreiben, dass es dort besser sei, obwohl es doch im Erleben der Nutzerinnen eher gleich ist, das kommt mir schon, wie soll ich sagen, etwas seltsam vor. Und diejenigen, die sich so vehement über die Erfahrungen mit belehrenden anderen Usern auf Mastodon beschweren, die drücken das manchmal, nun ja, verblüffend belehrend aus. Es ist jedenfalls ein seltsames Spiel und ich verstehe vielleicht die Regeln nicht ganz, siehe auch der Rest des Lebens.

Welchen dramatischen, entscheidenden Vorteil Bluesky also haben soll, das erschließt sich mir noch nicht. Die Nachteile verstehe ich ein wenig eher und sehe auch einige sofort, allein der Gründer. Und man kann auch, das wiegt fast noch schwerer, wieder hinterher nicht bearbeiten und korrigieren, was man gepostet hat, meine Güte, da waren wir doch jetzt technisch schon weiter auf Mastodon.

Ob es jetzt im Ernst sinnvoll sein kann, auf beiden Plattformen dauerhaft Gleiches zu posten, wie es manche oder sogar viele gerade tun – ich weiß ja nicht, das war schon bei Mastodon und Twitter unbefriedigend. Oder ob die Party irgendwann doch wie von selbst in zwei oder mehr Teile zerfällt, die sich irgendwie halbwegs klar definieren lassen? Hier die neunmalklugen Nerds, dort die kalauernden Komikerinnen, die pöbelnde Politikbande usw.? Ich würde es viel interessanter finden, wenn es überall gemischte Verhältnisse gäbe. Ich könnte sicher auch zwei Plattformen als Spielplatz nutzen, aber dann wäre es für mich deutlich schicker, sie wären irgendwie unterschiedlicher. So wie jetzt ist es auf Dauer nicht gut.

Ich fühle mich vorerst auf Mastodon wohler. Das ist in der letzten Zeit nun einmal meine Stammkneipe geworden, und dass sie keinem Verrückten gehört, das ist mir doch recht sympathisch. Ich schließe aber auch nicht vollkommen aus, dass ich irgendeinen entscheidenden Vorteil von Bluesky (jemand schlug vor, es polnisch auszusprechen, das fand ich schön) tatsächlich nicht verstanden habe.

Wie auch immer, ich stelle jedenfalls unterm Strich zufrieden fest, dass ich nennenswert weniger Zeit in diese Themen investiere als früher. Etwas hat sich doch geändert, und es ist vermutlich nicht schlecht für meinen Seelenfrieden.

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12 Kommentare

  1. Hitze ist wirklich doof? und was als Scherz auf der einen Plattform wirken soll aber ohne die Erklärung auf der anderen so nicht wirkt. Ich glaube ich bin zu alt für so ’nen Kram

  2. ah pah! ihr genetischen Eisbären! ein bisschen Toleranz bitteschön denen gegenüber die es lieber warm mögen. Gut, es muss ja nicht täglich weit mehr als 30Grad haben, aber mit ein wenig Wasser drumrum ist das doch was Feines. Und damit meine ich nicht ne Glas kaltes Wasser!

  3. Ich möchte Sie jetzt herzen, und ich herze selten, aber das ist exakt der Beitrag, den ich krankheitsbedingt nicht geschrieben habe, naja, er klänge drüben auch etwas gröber. Mein einziger Gedanke bei meinem 5-Minuten-Intermezzo auf Bluesky war: „Warum das denn jetzt?“ Es ist total sinnlos in seiner Gleichförmigkeit.
    Ich für mich habe jedenfalls entschieden, dass ich eigentlich genau zwei Menschen definieren kann, deren Anwesenheit für mich kriegsentscheidend ist, ohne ist mir langweilig. Ich hoffe, dass das Schicksal die auf der Plattform, an die ich mich gerade so schön gewöhnt habe, hält. Bleiben Sie einfach da. Die schöne Formulierung mit den belehrenden Belehrungshasser:innen habe ich übrigens sehr genossen, das Problem hatte ich für mich ganz elegant gelöst: Entfolgen. Ja, harter Schritt, aber das Mantra „Nicht lesen was nervt“ setze ich privat sehr konsequent um.
    Ich habe es letzten Oktober schon einmal sehr deutlich gemerkt. Im Herzen bin ich Bloggerin gefangen im Körper einer Frau, die eh keine Zeit hat.

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