Bei all den bunten Träumen

Sonntag, der 3. September. Der Tag zwischen den Kindergeburtstagen, das war früher immer eine etwas anstrengende Zeit. Mittlerweile ist es deutlich lässiger geworden, die Peer-Groups übernehmen die Gestaltung und den Tagesplan, es ist eine normale Entwicklung. Die Herzdame aber backt noch Kuchen und steckt Kerzen darauf, etwas bleibt.

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In den Timelines häufen sich jetzt die Bilder von positiven Testergebnissen wieder auffällig, es gibt ein pandemisches Déjà-vu. Da in der letzten Woche auch gleich mehrere Meldungen aus der Offline-Welt dazukamen, kann ich auf weitere Beweise wohl verzichten, es brandet also wieder heran, auch wenn es in den Medien bisher nur vereinzelt bestätigt wird und das Herunterspielen deutlich überwiegt, all die Experten, die zu gar nichts mehr raten. In einigen ausländischen Medien geht es schon deutlicher zur Sache. Späteres Update: Vanessa meldet ähnlich, was die Infektionen betrifft, und bald dann auch die anderen Blogs, wir kennen das.

Man sieht im Alltag auch wieder ein paar Masken mehr in der Stadt, in den Läden, in den Bahnen, aber es sind noch sehr wenig, sie fallen kaum auf, man muss schon hinsehen wollen.

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Ich bleibe weiter am Thema Tourismus dran, ich nehme das aus dem Sommer einfach mit in den Herbst, und wir lernen da heute die französische Vokabel für Over-Tourism: Surtourisme. Okay, das war jetzt nicht sehr schwer. Ich war vor etwa dreißig Jahren zuletzt am im Artikel beschriebenen Mont Saint Michel, ich fand es damals schon vollkommen absurd voll und möchte mir da Steigerungen gar nicht vorstellen.

Es ist ein Ort von enormer Schönheit, keine Frage, aber ich wüsste keinen Weg, wie wir in einer freizeitorientierten Massengesellschaft mit so etwas adäquat umgehen könnten. Wir können es wohl nur auf die eine oder andere Art ruinieren.

In Griechenland werden währenddessen die Besucherzahlen für die Akropolis und andere Attraktionen begrenzt und Venedig wird Eintritt nehmen.

Für ein angenehm eskalierendes Nebenprojekt recherchiere ich gerade Friedrich Gerstäcker hinterher und sehen zufällig eine passende Textstelle, man kann sie nicht nur auf den Tourismus und die Reiselust beziehen:

„Eine wunderbare Wanderlust scheint überhaupt, besonders in den letzten Jahren, das ganze Menschengeschlecht erfaßt zu haben. Fremde Länder und Welttheile sind uns durch Reisebeschreibungen und die neuen Erfindungen rascheren Verkehrs näher gerückt und wir mit ihnen mehr vertraut geworden, als dies in früheren Zeiten wol der Fall war. Die Wanderlust steckt dabei Vielen in den Gliedern, auch aus anderen Gründen, als nur, weil unsere Phantasie mit uns durchgegangen ist.

Und können wir etwa nicht fort? – hindert uns irgend Etwas, dem Triebe zu folgen, der uns den Ranzen schnüren und der alten trauten Heimath den Rücken kehren heißt? Der Mensch ist eines der wenigen Geschöpfe unseres Erdballes, das überall gedeiht, und sich jeder Zone, mit mehr oder weniger Schwierigkeit, anpassen kann, während die Thiere und Pflanzen der heißen Zone im Norden sterben und eingehen, oder wenigstens durch künstliche Wärme vor den Einflüssen des ihnen feindlichen Klima’s geschützt werden müssen, wie auch umgekehrt die Thiere und Pflanzen des hohen Nordens nicht unter der tropischen Sonne fortbestehen können.

Der Mensch kennt kein solches Hinderniß; die Natur hat ihm scheinbar überallhin die Schranken geöffnet. Er darf gehen, wohin er will, ohne für seine Gesundheit, oder wenigstens für sein Leben fürchten zu müssen, und sollte man nun da nicht glauben, daß im Laufe der Zeit, bei all‘ den bunten Träumen, die sich die Menschen bilden, das ganze Geschlecht nach den Punkten unseres Erdballes hinüberziehen müßte, die das mildeste Klima, den besten Boden, die freundlichste Lage haben? ist es denkbar, daß mit dieser Möglichkeit vor sich, und mit der mit jedem Jahre wachsenden Leichtigkeit der Verbindungswege ganze Nationen noch oben im hohen Norden bleiben würden, wo sie neun Monate im Jahr in Schnee und Eis fast wie begraben liegen und von eklem Thran und faulen Fischen leben müssen? oder andere in heißen, trockenen Steppen, mit ewigem Wassermangel kämpfend, ihren Platz behaupten würden, den sie bald mit Leichtigkeit gegen ein benachbartes Land vertauschen können, das im Vergleich mit dem ihrigen ein Paradies genannt werden dürfte.“

Friedrich Gerstäcker, Der kleine Walfischfänger, eine Erzählung für die Jugend, 1856, ich zitierte nach Projekt Gutenberg, Rechtschreibung wie dort.

Er kommt dann aber im weiteren Verlauf bald auf die Vaterlandsliebe, die alle zuverlässig und für immer an ihrem jeweiligen Platz halten wird. Er konnte kaum ahnen, dass das bald nicht mehr für alle Wochen des Jahres gelten sollte und dass das Klima veränderlich ist.

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Im Bild heute wieder die Hafencity, diesmal die Station Elbbrücken. Ich bin mit der Herzdame da entlangspaziert, wir nahmen uns vage vor, das öfter zu machen. Es ist doch interessant, wie es sich dort verändert, auch wenn wir mit der Architektur und der Raumgestaltung nicht einverstanden sind.

Die U-Bahnstation Elbbrücken

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass das hier ganz und gar nicht in Ordnung ist. Präventivhaft, was erlauben Rechtsstaat.

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3 Kommentare

  1. Was ich mich als Hamburgerin, die wegen der Überfüllung den Spaß an den bekannten Hamburger Ecken verloren hat, frage: Kamen bis – sagen wir mal vor zehn Jahren – weniger Touristen in die Stadt? Oder nehme ich es nur als mehr wahr, weil meine Wahrnehmung sich geändert hat? Und wenn es jetzt objektiv mehr Besucher sind: Warum? War Städtetourismus davor weniger modern? Oder ist die allgemeine Reiselust gestiegen? Die kommen doch nicht alle nur wegen der Elphi, oder? Berlin und Barcelona geht es ja nicht anders als Hamburg. Aber die Touris können ja nicht gleichzeitig überall sein. Wo kommen die alle her?

  2. Ja, der Tourismus … Aqaba war so ein Geheimtipp, aber seit ein paar Jahren sehe ich dort auch riesige Kreuzfahrtschiffe am Hafen liegen, und dann überfüllen westliche Touristen den Souk und die Restaurants … Ich bin immer froh, wenn wir bei unseren Besuchen Tage erwischen, wo keine Schiffe da sind. Die osteuropäischen Reisegruppen in der Stadt, die dann auch den öffentlichen Strand bevölkern, den wir den teuren Hotelstränden vorziehen, waren eigentlich genug für meinen Geschmack. Die Einheimischen tun ihr Bestes, aber ich fürchte, auch für sie lohnt sich der Auftrieb nicht.

    N.B. – Die Auswüchse der Präventivhaft lese ich mit Erschrecken. In dieser Gegend der Welt heißt das meist „administrative detention“ – und ich habe das vor allem bei unserem westlichen Nachbarn immer mit Unverständnis betrachtet. Ich hätte gedacht – und ich schätze, meine früheren Professoren aus dem Jurastudium hätten mir zugestimmt – dass das in Deutschland rechtlich unmöglich ist.

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