Ich beobachte meine Wände jeden Tag

Ein weiterer Artikel zur Tourismus-Entwicklung, diesmal gefunden bei der Kaltmamsell. Auch interessant gefunden: Über den Leerstand in China.

In Hamburg findet das Einheitsfest statt, und wie auch immer da gefeiert werden soll, ich möchte bitte keiner Großveranstaltung beiwohnen. In der Innenstadt werden weiße Pavillons aufgebaut, Thüringen, Land der Burgen, lese ich im Vorbeigehen, dann Bierstände, natürlich Bierstände, und dann noch mehr Pavillons, viel mehr davon, auf einem steht in grüner Schrift Sachsen und bestimmt kommen alle anderen Bundesländer auch irgendwo vor, wie auf einer Tourismusmesse, aber ich kehre um und gehe nach Hause, es ist mir jetzt schon zu voll in der Stadt.

Wir fliehen und fahren durchs sonnige Niedersachsen, ins Heimatdorf der Herzdame. Bunt sind keine Wälder, voller Mais die Felder, und der Herbst fällt aus. Die Herzdame sagt, es sehe doch alles normal aus, ich sage, der Herbst sei deutlich verspätet, wir werden uns nicht recht einig. Später lese ich beim deutschen Wetterdienst nach, der phänologische Herbst ist etwa neun Tage verspätet, das liegt vor allem an den nicht vorkommenden kalten Nächten. Neun Tage sind nicht viel, wir haben also irgendwie beide Recht, was ohnehin immer am besten ist. Der Herbst ist verspätet, aber nur ein wenig, bei der Bahn wäre das alles noch im Rahmen, es fällt immerhin nichts komplett aus. Die nachfolgenden Jahreszeiten verspäten sich um …

Fasane am Feldrand, zertretene Eicheln auf den Wegen, Krähen auf den Scheunen, Habichte in der Luft. Es gibt Pflaumenkuchen im Garten, und der ist nicht vom Bäcker, der ist von Schwiegermutter, ist also sehr gut. Haben wir das auch erledigt, gerade noch vor Oktober, das war knapp. Immer noch kommt es mir aber seltsam und unpassend vor, da Oktober hinzuschreiben, ich bekomme das nicht justiert, es kann doch einfach nicht Oktober sein, mit dermaßen lauen Nächten, mit Kaffee und Kuchen auf der Terrasse, und man braucht dabei nicht einmal einen Pullover.

Pflaumenkuchen mit und ohne Streusel auf einem Teller

Ich sehe Dead Man von Jim Jarmusch auf arte. Der Soundtrack, lese ich, entstand, indem sich Neil Young den fertig geschnittenen Film ansah und dazu improvisierte. Man findet auf Spotify Playlists, die sich an diesem Soundtrack orientieren, so etwas wie Dark Country oder Gothic Country, aber auch dafür ist es im Grunde noch lange nicht Herbst genug, dieser Soundtrack passt nicht zum norddeutschen Landschaftsbild. Na, vielleicht ja in neun Tagen.

Ich lese in den Briefen von Charles Bukowski: „Ich halte nichts davon, eine Story zu schreiben, die nicht aus der Wand gekrochen kommt. Ich beobachte meine Wände jeden Tag, aber es tut sich sehr wenig.

Ich sehe die Wand an. Da ist nichts.

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Ein Kommentar

  1. Wenn ich das so lese, hatten wir mit der Einheits-Ausstellung 2020 richtig Glück. Da wurde das Bratwurst-Bier-Menschenmassen-Fest durch Ausstellungspavillons ersetzt. Das hat uns sehr gut gefallen (ich hab gerade nochmal nachgelesen). Wünsche gutes Durchhalten (oder Vermeiden).

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