Schlicht und altmodisch

Donnerstag, der 5. Oktober. Gestern gab es eine Premiere auf meinem Arbeitsweg nach Hammerbrook, und keine der guten Art. Ich habe zum ersten Mal einen meiner gewohnten Wege durch das U-Bahn-Geflecht am Bahnhof nicht genommen, weil mir in der frühen Stunde zu viele Junkies dort komatös weggetreten herumlagen, die ich hätte umkurven oder übersteigen müssen. Wie bereits erwähnt, es eskaliert hier erstaunlich schnell.

Die Stadt hat jetzt mit viel Presse-Geklingel eine Waffenverbotszone am Hauptbahnhof eingeführt und kann daher anlasslos und beliebig Passanten auf Messer, Schusswaffen und anderes Zeug durchsuchen – ich sehe nicht recht, wie das bei den Problemen helfen soll, die ich dort wahrnehme. Um regelmäßige Messerstechereien geht es da eher nicht, und die Hilfsangebote für die Opfer von diversen Rauschmitteln und Armut wurden, soweit ich es mitbekommen habe, nicht erweitert, nicht einmal die beim Drob-Inn, obwohl das recht offensichtlich notwendig wäre. Man muss die Lage nicht erst lange studieren, um darauf zu kommen.

Ich wohne jetzt direkt neben zwei Waffenverbotszonen und find es am Rande erheiternd, dass ich als Anwohner Messer in einem geschlossenen Behältnis weiter durch meine Gegend tragen dürfte. Ich bin etwas in Versuchung, aus reiner Renitenz dauernd einen Besteckkasten mitzuführen, aber wir wollen nicht übertreiben, nicht wahr. Contenance, Herr Buddenbohm.

Ein Bürotag der nicht weiter erwähnenswerten Art war der Mittwoch mit dem täuschend echten Montagfeeling ansonsten, auch der Rest des Tages war seltsam grau und geduckt, blass, unauffällig und schnell weg. Viel eingekauft und lange gekocht habe ich, Haushaltsdinge und ergebnislose Raufaserbetrachtungen gab es. Nichts habe ich gelesen, keinen Film habe ich gesehen, kein Hörbuch gehört. Früh eingeschlafen, immerhin zum Geräusch des herbstlich heulenden Windes am Fenster, und das war dann also der gute Teil des Mittwochs, seine letzten zehn Minuten. Aber Hauptsache, es gibt einen guten Teil, nicht wahr, und bitte, da haben wir also den Achtsamkeitspart für den Freundeskreis Seelenhygiene.

Am Donnerstag dann Home-Office bei recht gelungenem Herbstwetterimitat, fast war es wie früher im Oktober. Am Morgen passend dazu gelesen: „Das typische Bild, das wir vom Herbst haben, gibt es so nicht mehr.“ Ich höre mich nebenbei durch meine Instrumental-Jazz-Playlist und trage endlich wieder einen Pullover, es sind die kleinen Dinge. Coltrane und Rollkragen heben die Laune, ich bin einfach gestrickt, altmodisch und berechenbar.

Und hier unvermittelt und grundlos ein Alsterbild. Warum auch nicht.

Segelboote an einem Steg an der abendlichen Außenalster, mit Planen abgedeckt, Sonnenuntergangslicht

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Ich habe mir ansonsten mit etwas Listengebastel und mit einigen Seiteneinstellungen Mastodon und Bluesky so hergerichtet, dass sie auch im Web auf den ersten Blick praktisch genau gleich aussehen, nicht nur in den Apps. Ich kann mir also jetzt in aller Ruhe ansehen, wie die Leute da auf nahezu vollkommen identisch aussehenden Seiten endlos über die jeweils andere Seite motzen und kann weiter zunehmend an der Menschheit verzweifeln.

Aber das würde ich ohnehin tun, nehme ich an, auch ohne diese ziemlich spezielle Online-Erfahrung mit der judäischen Volksfront und der Volksfront von Judäa, die Älteren erinnern sich.

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4 Kommentare

  1. Das mit Buddenbohms Besteckkasten werde ich mir als Anwohnerin am Görlitzer Park sicherheitshalber merken; so eine Kapriole kommt hier bestimmt auch noch.

    Das Hakenschlagen kenne ich auch, und ich habe leider gute, äh, schlechte Gründe dafür, weshalb ich es inzwischen vorziehe abends mit dem Rad oder Auto bis vors Hoftor zu fahren. Seufz.

    Populistische Maßnahmen im „Die tun was“-Stil helfen bei Drogenproblemen halt recht wenig.

  2. Mir fällt seit einigen Monaten auch auf, dass sich die Situation rund um den Hamburger Hauptbahnhof leider zuzuspitzen scheint. Ich sehe deutlich mehr arme und verwahrloste Menschen, die auf der Straße rumsitzen oder auch liegen. Da ich wegen des Umzugs unseres Büros nach Hamburg-Altona jetzt einen leicht veränderten Arbeitsweg habe, nehme ich neuerdings die neuen Treppenaufgänge von den Gleisen an der Südseite des Bahnhofs, hoch auf die Steintorbrücke. Weil es dort auf den Stufen windgeschützt ist, sitzen dort auch Drogensüchtige und konsumieren bzw. kochen auf einem Löffel Heroin auf. Morgens um 08:00 Uhr doch ein leicht verstörender Anblick, muss ich gestehen.

  3. Die Sache mit der Waffenverbotszone ist wahrscheinlich so ein seltsames, kommunales, ordnungsrechtliches Konstrukt mit der Hoffnung auf Kollateralnutzen:

    Man kann Drogen auf dem Bahnhofsvorplatz ja schlecht verbieten, weil sie ja sowieso schon verboten sind. Man kann aber Waffen verbieten, weil die ja grundsätzlich nicht verboten sind. Und dann hofft man, dass mit den Waffennutzern auch die Drogennutzer wegbleiben.
    Alkoholverbotszonen wären wahrscheinlich sinnvoller, aber das würde ja auch die Fußballfans treffen… ;o)

    (hier gibt es häufiger mal Glasverbotsszenarien, wenn gewisse Fußballvereine aufeinander treffen. Dann dürfen in den Supermärkten in der Zone nichtmal Babybrei oder SaureGurken verkauft werden)

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