Lachen im Sturm

Donnerstag, der 19. Oktober. Ich habe „Junger Mann“ von Wolf Haas durchgelesen, das Buch stand neulich im öffentlichen Bücherschrank, hier eine freundliche Rezension in der SZ dazu. Eine angenehm schnelle Lektüre war es, ich habe es in einem Rutsch konsumiert, was mir unerfreulich lange schon nicht mehr bei einem Roman gelungen ist. Die Zeitprobleme, die Konzentrationsdefizite. Früher, so denke ich immer, früher habe ich viel mehr am Stück gelesen, aber das scheinen nach den letzten paar Jahren nahezu alle Menschen um mich herum zu denken, man ist da vermutlich in bester Gesellschaft. Wolf Haas habe ich jedenfalls wieder gerne gelesen, wie bisher jedes Buch von ihm, wenn ich mich recht erinnere. Ein schmaler Roadnovelband, man braust so durch.

Einen Stummfilm von 1923 auf arte habe ich außerdem gesehen, Varieté mit Emil Jannings, Warwick Ward, Lya de Putti und Maly Delschaft, die Regie von Ewald André Dupont. Sehr empfehlenswert kam mir das vor, ungemein viele Details gab es da zu entdecken, eine großartige Kameraführung und wildestes Schauspiel, man kann sich die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts nebenbei noch einmal ganz neu bebildern und ausstaffieren, ich fand es bereichernd.

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Im Bild heute ein neues Wandbild im Stadtteil, wenn es schon der Herbst nach wie vor nicht zu leuchtenden Farben in der Natur bringt, dann doch immerhin die Streetart an den Wänden: Colors.

Ein Mural, noch neu und in leuchtenden Farben, bunt und mehrfach der Schriftzug "Colors" vor farbigem Hintergrund

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Die Rabenkrähe auf dem Balkongeländer guckt, ob ich nicht vielleicht endlich einmal gucke. Sie legt den Kopf schief und geht auf dem Geländer auf und ab, sie flattert kurz mit den Flügeln, es könnte ja etwas nützen, kurz auf sich aufmerksam zu machen. „Ja“, sage ich, „ich komme gleich.“ Ich hole noch einmal Erdnüsse aus der Küche, ich öffne die Balkontür und es ist jetzt endlich so weit, der Vogel fliegt nicht mehr weg. Die Krähe bleibt neben mir sitzen, die Krähe sieht interessiert zu, wie ich die Erdnüsse in den Blumentopf lege und sagt dann ein betont freundliches, leises „Krah“, sie sagt vermutlich einen Krähendank. Ich wünsche guten Appetit und gehe wieder rein, denn es ist heute ein Wetter, man möchte keinen Rabenvogel vor die Tür jagen. Orkan aus Ost, Südost ist angesagt, das kommt hier nicht allzu häufig vor, das ist die verkehrte Richtung für so etwas, der Wind wird schon stündlich stärker. Und an den Küsten, liest man, wird die Flut steigen, nur eben diesmal an den falschen Küsten, in Lübeck werden Häuser tief in der Trave stehen.

Auf dem Balkongeländer landen etwas später zwei junge Elstern und ein Eichelhäher und rätseln, wie die Krähe das mit der Extraration wieder gemacht hat. Aber viel Zeit für ihre Gedanken haben sie nicht, denn es ist ein unruhiges Volk und in steter Bewegung, kaum da, gleich wieder weg, kein Beharrungsvermögen haben sie, nicht die Spur davon. auch keine Zeit, etwas zu lernen.

Oben, neben dem Kirchturm und seiner wild pendelnden Wetterfahne, lässt sich die Krähe vom Sturm gerade einen Block weiter werfen, zu anderen Menschen vielleicht, die sie auch erfolgreich dressiert hat. Ich höre ihr Lachen im Sturm.

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3 Kommentare

  1. „Junger Mann“ kam für mich unerwartet, weil es für seine Verhältnisse ziemlich geradeaus erzählt ist. Hab’s gerne gelesen und bin doch etwas weniger beeindruckt als von seinen perfekt aufgebauten Sprachkunstwerken wie z.B. „Das Wetter vor 15 Jahren“ oder den Brenner-Romanen. Dennoch ein gutes Buch, gerade habe ich „Eigentum“ begonnen, das vielleicht auch ein persönlicheres und dafür weniger durchkonstruiertes Buch geworden ist.

  2. „Varieté“ habe ich zuletzt bei den Stummfilmwochen im Museum für Hamburger Geschichte gesehen. Ganz wunderbar live vertont mit Cello und Synthesizer, auf großer Leinwand, auf die die rasante, entfesselte Kamera bei den Trapez-Szenen sehr beeindruckende Wirkung entfaltete. Die Anfangszenen sind ja in Hamburg auf der Reeperbahn gedreht.

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