Teile der Wirklichkeit

Sonntag, der 22. Oktober. Gesehen: Diese Dokumentation über Otfried Preußler. Seine Bücher spielten in meiner Kindheit keine große Rolle, ich kann nicht sagen, warum das so war. Krabat habe ich erst kennengelernt, als es die Söhne es in der Schule gelesen haben und beide dann sogar gut fanden, was mir ungemein beachtlich vorkam. Keine andere Schullektüre hat das geschafft, hat diesen Test bestanden, die anderen Autoren (es kamen nur Männer vor, glaube ich) haben ziemlich gründlich verloren. Der Herr Preußler muss da also etwas getroffen haben.

Er schrieb zehn Jahre lang an einem Buch, das dann nie erschienen ist, und auch das ist eine gute Geschichte.

Einen Sonntagsspaziergang durch die Hafencity und die Speicherstadt gemacht. Es ist immer noch wenig Wasser da, man sieht hier und da den aufgetauchten Müll im Schlick, allerdings weniger, als ich vermutet hätte. Hier und da ragen Stühle und dergleichen aus dem Grund, und werden bald wieder von der Elbe zugedeckt. Noch staksen Möwen durch den Schlamm.

Eine ausländerfeindliche Parole an einer Wand, frisch hingesprüht, und groß ist sie geworden, ich zitiere sie nicht. Vorbeigehende Menschen schütteln mehrheitlich den Kopf, immerhin. Das ist auch ein Teil der Wirklichkeit. Nichts in dieser Stadt würde ohne Menschen ausländischer Herkunft funktionieren, gar nichts, es gäbe nicht einmal die Wand, auf die da jemand geschrieben hat.

In den Medien die mit dem Hamburger Niedrigwasser korrelierenden Bilder der Zerstörung von der Ostseeküste. Es sind Bilder aus Gegenden, die ich gut kenne, daher kann ich sicher sagen: So etwas habe ich damals nicht erlebt. Schlimme Stürme gab es, seltene Sturmfluten auch, aber so etwas nicht, nicht einmal annähernd.

Und apropos kenne ich nicht – es gibt weiterhin keine leuchtende Herbstfärbung an den Bäumen, es ist Ende Oktober. Bei Kästner etwa, ich bemühe Zeugen aus der Lyrik, sind die Bäume in Oktober bunt und blumenschön, „Buketts für sanfte Riesen.“ Tatsächlich werden die Blätter vorm Balkon und im Garten zusehends blasser und gelber, aber die kräftigen Farben bleiben noch aus, das sattsam bilderbuchbekannte Illustrationsmaterial zum klischeehaft goldenen Oktober, es kommt in diesem Jahr einfach nicht hin oder doch erst auf den letzten paar Tagen des Monats.

Vielleicht gibt es dann einen goldenen November, und alle nachfolgenden Monatsstimmungen verschieben sich entsprechend, Störungen im Betriebsablauf, man kennt das von der Bahn.

Ansonsten gewinnen in der Schweiz die Rechten Wahlen, es ist leider wenig originell. Ich zähle nach wie vor mit, welche Regionen in den sozialen Medien, also in meinen Timelines, als Auswanderungsziel genannt werden, für den Fall, dass die Nazis hier den Laden übernehmen, da ist die Schweiz auf Platz 2 der Nennungen, knapp hinter Dänemark. Na ja.

Im Bild heute etwas dazu Passendes, ein Straßenschild. Ein kleiner Gang ist es nur, der hier so betitelt ist, ein Durchgang, nicht die beste Ecke des Stadtteils, eher im Gegenteil. Ein Pissgang, wie meine Mutter abfällig sagen würde. Aber immerhin benannt nach einem wenig bekannten Widerstandskämpfer, der hier um die Ecke gewirkt hat, im Bieberhaus, in dem heute das Ohnsorg-Theater ist: Helmuth Hübener, das ruhig mal nachlesen. Oder im neu gelernten Kohortativ: Lasst uns des Widerstandes gedenken. Helmuth war zu jung für das Todesurteil durch den Volksgerichtshof: „Da die Todesstrafe für Minderjährige nicht vorgesehen war, hatte der Richter Hübener für volljährig erklärt.

Das Straßenschild zum Helmuth-Hübener-Gang in St. Georg

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3 Kommentare

  1. @Reiner Wadel

    Kann man googeln, habe ich getan.

    Ohne dieses eben erworbene Wissen, wonach der Richter vor einer möglichen Verurteilung (immerhin angeklagt in den Nürnberger Prozessen), bereits 1951 verstarb, wäre meine Annahme gewesen, dass er bzw. seine Witwe eine dem Amt entsprechende Rente erhalten haben würde.
    Wäre nämlich nach der Geschichte der jungen Bundesrepublik leider nicht auszuschließen, denn die Verteidigungsstrategie laut Filbinger „was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein“ hatten sich viele „furchtbare Juristen“ (nach Hochhuth) zu eigen gemacht.
    So war’s und deshalb entstand u.a die ’68er Bewegung, die einiges zur Aufklärung beitrug.

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