Lemna minor

Donnerstag, der 26.10.2023. In den Foodblogs sehe ich längere und sicher unfreiwillige Versuchsreihen zur Unmöglichkeit, Rezepte mit Pilzen auf Fotos attraktiv wirken zu lassen, braunschleimige Gerichte, Herbstmodder, Risottopech. Aber egal, Pilze sind hier eh schwierig, zuverlässig familientauglich kann ich sie nur im Hühnerfrikassee versenken. Alles andere ist weit im Risikobereich, ich kann Pilzrezepte also ohnehin wegklicken.

Gelesen in Richard Ovenden: Bedrohte Bücher – Eine Geschichte der Zerstörung und Bewahrung des Wissens“, aus dem Englischen von Ulrike Bischoff, hier eine Rezension dazu bei Spektrum. Der Autor ist der Leiter der Bodleiana. Ein probibliothekarisches Buch mit aktuellen Bezügen, versteht sich, denn es werden immer und gerade jetzt wieder irgendwo Bücher verboten und Daten gelöscht, es wird immer im Interesse finsterer Vorhaben oder auch in vermeintlich guter Absicht Wissen verhindert. Das Buch geht ab und zu auf das Internet ein, eher am Rande. Also auf die Frage, was da wie gespeichert werden kann, wofür Bibliotheken zuständig sein können etc.

Wobei ich es nach etlichen Jahren intensiver Internetnutzung immer faszinierender finde, welche Radikalisierung des Gegenwärtigen das Netz mit sich gebracht hat, wie weitgehend bedeutungslos Erinnerungskultur online ist. Wir lesen alle kaum alte Texte an unseren Bildschirmen, und alt heißt, sie sind von vorgestern oder von letzter Woche. Alles, was noch älter ist, klicken wir kaum noch an, machen wir nicht mehr auf, lesen wir nicht mehr durch, finden wir sogar abwegig, veraltet, wer weiß denn schon, ob das noch stimmt. Wen interessieren Texte von 2021, Memes von 2018 etc., das ist alles kategorisch nicht mehr von Interesse oder relevant – während in der Buchkultur ausdrücklich das Alte interessant ist, das Bewahrte, Überlieferte. Wir lesen immer noch Texte aus der Antike und legen sie sogar neu auf.

Der Bruch zwischen der Wertschätzung von Gegenwart und Vergangenheit ist viel größer, als es mir jahrelang aufgefallen ist, und mittlerweile bin ich skeptisch, ob in der Entwicklung etwas Positives zu sehen ist. Es ist doch eher eine rasende, besinnungslose Gegenwärtigkeit als ein reflektiertes Hier und Jetzt. Wenn man versucht, ganz weit zurückzutreten, aus dem aktuellen Bild hinaus, in einen weiten, geschichtlichen Überblick, sieht man womöglich auf einen Abstieg, nicht wahr, auf einen kulturellen Rückschritt. Zumindest würde ich das nicht ausschließen.

Aber hey, was haben wir für einen Spaß daran gehabt. Jedenfalls einige Jahre lang. Im Moment, Sie merken es vermutlich auch, haben wir den nicht mehr so recht.

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Im Bild ein Fleet an der S-Bahn-Haltestelle Hammerbrook, man sieht, was gerade alle Gewässer dieser Art in Hamburg reichlich zu bieten haben: Entengrütze,die kleine Wasserlinse, Lemna minor. Ein Nährstoffanzeiger, der die Wärme der letzten Wochen super fand. Man kann das Zeug auch essen, lese ich, aber es drängt mich nicht zu Versuchen.

Davon abgesehen sehen wir im Laub der Bäume einen etwas deutlicheren Herbsteintritt. Immerhin.

Ein FLeet in Hammerbrook, Bürobauten am Ufer, Hausboote, herbstliche Bäume und grasgrünes Wasser

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7 Kommentare

  1. „In den Foodblogs sehe ich längere und sicher unfreiwillige Versuchsreihen zur Unmöglichkeit, Rezepte mit Pilzen auf Fotos attraktiv wirken zu lassen“

    Das ist der schönste Satz, den ich heute gelesen habe. ?

  2. Ich hab hier eine noch ungelesene Jean-Paul-Gesamtausgabe, eigentlich müßte ich die jetzt hinter Glas stellen mit einem Hämmerchen daneben, „Im Notfall Scheibe einschlagen ud Nichtgegenwärtiges lesen“, oder?

  3. Ein Stückchen Antithese, wenn auch nur anekdotisch: Auf tumblr werden Blogeinträge, Memes und andere Posts oft auch noch Jahre nach der Erstellung weitergetragen, wiedergelesen und erneut gerebloggt. Es ist nicht ungewöhnlich, Beiträge von 2012, 2015 oder 2018 zu lesen. Es gibt also durchaus Ecken im Internet, die nicht nur in der Gegenwart leben.

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