Beim NDR eine Meldung über unseren Stadtteil, über unsere Nachbarschaft, es sind unruhige Wochen und der Hass greift weit um sich und sammelt weltweit erfolgreich Leute ein, auch vor der Haustür. In einer anderen Meldung sagt unser Verteidigungsminister heute, Deutschland müsse kriegstüchtig werden und wenn man sich nicht sehr und permanent auf andere Gedanken konzentriert, könnte man meinen, wir leben in deutlich finsterer werdenden Zeiten.
Aus dem Fenster sehen und wieder auf den Eichelhäher warten, auf die Krähe, auf die Elster. Nüsse zählen.
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Dennoch findet aber alles statt wie immer, also Tag für Tag und auch nach dem Kalender. Am Wochenende abends noch der übliche Spaziergang durch den Hauptbahnhof, in dem es, müssen Sie sich vorstellen, immer übervoll ist, auch zu den Zeiten, die man für unverdächtig hält. Diese groben Zeitpläne, die man für so etwas früher im Kopf hatte, sie kommen nicht mehr recht hin, es hat sich etwas verändert. Immer der große Andrang jetzt, zu jeder Zeit und an jedem Tag, die Massen, das Gedrängel, man schiebt sich so durch. Man hat daher nach einem Gang durch die Wandelhalle zuverlässig alle Arten von Menschen und Moden gesehen, viele Situationen auch, kurze Interaktionen, Stadien der Zweisamkeit, des Beisammenseins und auch der Familiensituationen, alles nur fragmentarisch und in Sekundenbruchteilen, wahnsinnig eng getaktet, ein gesellschaftliches Stakkato der Möglichkeiten, und da vorne übrigens schieben gerade zwei Männer einen Sarg auf einem Gestell durch die Menge.
Das allerdings ist sogar hier ungewöhnlich, wo doch sonst kaum noch etwas auffällt. Nun ist aber bald Halloween, das wird also sicher irgendwie Deko sein, man kann das schnell abtun und die Männer erregen auch kaum Aufsehen. Nur wenige Menschen gucken kurz und etwas irritiert, Kinder sind es vor allem. Ich sehe die beiden im Vorbeigehen, ich denke Deko, ich denke nicht interessant, aber ich könnte doch, fällt mir dann gerade noch ein, eben nachsehen, wo und wofür diese Deko eigentlich aufgebaut wird. Und ich drehe mich also um, kaum dass ich diesen Schauertransport passiert habe, zehn Schritte hinter ihnen vielleicht, um ihnen noch etwas nachzugehen, denn wer weiß, am Ende fällt bei so etwas auch Erzählbares ab – aber da sind keine Männer mit einem Sarg.
Ich gehe ein paar Schritte in die Richtung, in der sie verschwunden sein müssen, ich finde sie nicht mehr. Vielleicht ist es möglich, dass die wogende Besucherinnenmenge im Bahnhof auch etwas so Ungewöhnliches wie einen Sargtransport in zwei Sekunden vollkommen spurlos verschluckt, vielleicht waren da aber auch gar keine Männer mit Sarg. Es ist immerhin die passende Jahreszeit für seltsame Vorkommnisse und unerklärliche Geschichten. Um mich herum nur enorm viele Menschen, die zu Zügen gehen, in Imbisse, in Souvenir- und Blumenläden.
Business as usual, die übliche Betriebsamkeit.
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Obwohl der Wetterbericht nur noch aus Regenwetter besteht, scheint die Sonne am Sonntag stundenlang. Ich gehe mit der Herzdame die große Runde durch Planten & Blomen, bis runter nach St. Pauli und zurück, und es ist der Tag, an dem die Blätter leuchten und die Farben stimmen, es ist der Tag der überaus festlichen Herbstbilder.
Im ganzen Park machen die Menschen Selfies und Familienbilder vor rotem oder goldenem Laub, vor den hohen, wippenden Federbüscheln der großen Ziergräser, vor den letzten blühenden Staudenbeeten, vor überaus opulenter Prachtkulisse. Die Büsche, die Bäume und die Menschen posieren im Licht dieses Nachmittags, und es liegt ein edler Glanz über der Stadt, der sogar die Hochhäuser jenseits der Parkgrenzen mit prächtigem Schimmer auf den Fenstern adelt. Die Oktobersonne scheint, und alles ist erleuchtet.
Von der gestern eröffneten Eisbahn wehen leise Musik und Gelächter heran.
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Man könnte nicht nur meinen, daß wir in deutlich finsterer werdenden Zeiten leben. Es ist bereits Realität für Juden und Jüdinnen – und auch für andere. Wenn diese Realität noch nicht bei Ihnen angekommen ist, dann sind Sie priviligiert.