Die Zielgruppe und die Bank

Empfehlenswert fand ich in der aktuellen Lage der Nation das Interview mit Martin Fehrensen vom Social-Media-Watchblog. Es geht um die Funktionsweise von Tiktok, um das mögliche Verbot oder den Verkauf der Plattform in den USA, um schnelldrehende, um sich greifende rechtsradikale Inhalte in Deutschland und anderswo, es geht auch um die eher schlechten Aussichten für Regulierungsmaßnahmen und endet nicht optimistisch. Aber wer würde das noch erwarten, die Lage ist etwas verfahren.

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Im Hauptbahnhof hat man etwas aufgebaut, einen Bogen aus Plastikblumen, darunter eine weiße Bank. Auf dem Boden davor steht in einem roten Herz: „Kissing Point.“ Ein frühlingshaftes Ensemble, also für urbane Verhältnisse.

Ich sehe zu, wer sich da hinsetzt, wer da was macht. Eine Frau mit zwei kleinen Kindern setzt sich, alle Müdigkeit der Welt im Gesicht. Die Kinder, vier und sechs Jahre etwa, streiten und schreien und laufen sich jagend um die Bank herum. Sie sagt leise etwas, das bei den Kleinen nicht ankommt.

Eine Frau im Rentenalter mit schwerem Gepäck. Setzt sich, stöhnt. Lässt die Griffe der Taschen nicht los, man weiß ja nicht.

Ein Mann im Anzug, telefonierend. Ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt merkt, wo er sich da hinsetzt, er wirkt konzentriert, redet schnell und viel, ist bald wieder weg, unruhig.

Mehrere Menschen kommen an dieser Bank vorbei, lesen kurz, was da auf dem Boden steht, schütteln den Kopf und gehen weiter. Betrachten sich vermutlich eher nicht als Zielgruppe.

Etwa eine Viertelstunde sehe ich dort zu, und wenn man diese Zeit hochrechnen kann, dann besteht im Bahnhof gar kein Mangel an frühlingshaften Kissing Points, schon gar nicht bei der Standard-Einstellung 12 Grad und grauer Himmel, die heute wieder für diese Stadt gilt.

Aber ein paar Sitzmöbel mehr könnten vielleicht eine gute Idee sein.

Eine weiße Bank in der Wandelhalle, ein Plastikblumenbogen darüber, davor steht auf dem Boden in einem Herz: Kissing Point

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Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

2 Kommentare

  1. Kann man Blödsinn auf die Spitze treiben? Man kann: Kissing point scheint mir ein Beispiel dafür zu sein.
    Bänke, nicht nur eine, sind immer gut und wer küssen will braucht nicht unbedingt eine Bank bzw. findet sein Plätzchen dafür schon.
    Oder hat sich das etwa ein Bahnoberer „einfallen“ lassen, um sich der Boni würdig zu erweisen (wenn schon sonst nichts klappt)?

  2. Ich finde die Idee toll. Aber man sieht ja, dass die Leute nicht verstehen, sich dort mal für einen Kuss hinzusetzen. Ich stelle mir gerade vor, wir die Frau im Rentenalter oder der Mann im Anzug plötzlich von einem Passanten geküsst werden. Muss ja nicht auf den Mund sein. Die beiden haben wahrscheinlich gar nicht gelesen, warum die Bank da steht und würden total überrascht sein, wenn das jemand tun würde. Vielleicht würden sie gar einen sexuellen Übergriff vermuten. Eigentlich eine witzige Sache.

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