Der Sonnabend. Dieser eine Tag mit der so ungewöhnlichen Wärme, über die man sich einerseits von Herzen freuen möchte, weil der März hier dermaßen nass, windig und 12-gradig wie eine überaus unerwünschte Februarverlängerung war, über den man sich andererseits auch nicht zu viel freuen darf, weil Klimakrise, dies, das. Was macht man da emotional und auch sonst.
Entscheidet man sich für die positive Gefühlslage, dann lastet besonders viel Druck auf diesem Tag, dann muss da verdammt viel Genuss in die wenigen Stunden, Sommergefühle wie damals, oder weit, weit fortgeschrittene Frühlingsgefühle zumindest, Gartenspaß oder Spaziergangslust, das finde ich schon wieder etwas herausfordernd und neige spontan eher zum Trotz, ob all dieser unvermuteten Anforderungen. Der Freundeskreis Reaktanz zieht sich wie immer zunächst schmollend zurück.
Ich mach doch nicht was, nur weil Wetter!
Da könnte ja jedes Wetter kommen.
Dann erst einmal Brötchenholen bei 14 Grad am frühen Morgen, da geht es schon los. Die Hausmeistergehilfen der Häuser um die Ecke grüßen deutlich freundlicher als sonst, während sie rumpelnde Container an mir vorbeirollen. Die nicken sonst kaum, heute aber dieses Winken und Lachen. So ist das Leben im sonnigen Süden, stelle ich mir vor, guten Morgen Sonnenschein, gleich Nana Mouskouri im Ohr. Lebt sie eigentlich noch? Immer alles nachsehen. 90 Jahre wird sie im Oktober.
Ich bestelle meine Brötchen und der Verkäufer sagt: „Besonders gerne!“ Warum sagt er das, warum strahlt er so. Liegt auch das am Sonnenschein, der blendend durch die Schaufensterscheibe fällt, was geschieht mit dieser Stadt.
Frühstück bei offener Balkontür. Insekten kommen irritiert einen Meter in die Wohnung, wieso ist hier ein Loch in der Fassade, das war da gestern noch nicht. Kann man da am Ende gut brüten oder fressen oder so etwas. Das mal abchecken.
Wir fahren gegen Mittag in den Garten. Dort hören wir in der Ferne, drei, vier Wege weiter, das sommerhelle Läuten des Eiswagens, da sehen wir wie in jedem Sommer die lachend und jauchzend vorbeirennenden Kinder im Grundschulalter, das abgezählte Kleingeld in den Fäusten. Nach ein paar Minuten kommen sie allerdings deutlich langsamer zurück, ohne Eis, aber laut schimpfend, Spatzenbande nichts dagegen. Und was sie da von sich geben, das hört man bei ihnen zwar in hellerer Tonlage als bei den Erwachsenen, kann es ansonsten aber kaum von den allfälligen Klagen der Älteren unterscheiden – wie teuer ist bitte das Eis geworden, ja spinnen die denn, das kann doch nicht sein, das ist doch Wahnsinn, so viel!
Und sie gehen schmollend mehr Geld holen, bei ihren Eltern, die ihre Klagen dann gewiss fast wortgleich wiederholen werden. Währenddessen klingelt der Eiswagen lockend immer weiter, kommt zurück, liebe Kinder, kommt zurück.
Während es noch klingelt, Junijuligebimmel, fliegen mir Hummeln, Bienen und Schmetterlinge durchs Bild, ein riesiges Pfauenauge wie auf einem Kunstdruck, so beeindruckend, stimmen Meisen, Amseln, Zilpzalp und Heckenbraunelle in die Sommergeräuschkulisse ein, sehe ich, dass in den Beeten Vergissmeinnicht und Silberblatt blühen, dass die Maiglöckchen schießen, die jetzt Aprilglöckchen werden.
Die Vogelbestimmungsapp sagt, dass sie einen Gimpel hört, ganz sicher ist sie. Ich habe im Garten noch nie einen Gimpel gesehen, ich habe überhaupt schon sehr lange keinen Gimpel mehr gesehen, sicher jahrelang nicht, zuletzt vermutlich als Schimpfwort in irgendwelchen älteren Texten.
Ich setze mich in einen Gartenstuhl und sehe in den frisch ergrünten Weißdornbaum über mir und auch in die Büsche unter ihm, Holunder und Blutjohannisbeere, ich warte auf den Gimpel. Lange warte ich, für meine Verhältnisse sogar geduldig, vielleicht schlafe ich auch ein wenig ein dabei, das kann sein. Vogelbeobachtung muss man ernst nehmen und also angemessen anstrengend finden, das ist richtig so. Es erscheint zwar kein Gimpel, aber ich war, so fand ich dann hinterher, an einem solchen Tag doch vollkommen angemessen beschäftigt.
Man muss es sich alles zurechtdrehen, bis es passt.
Die Herzdame aber steht später vor dem Erdbeerbeet und überlegt laut, ob das nicht woanders besser wäre, ob es nicht etwas mehr in die Sonne müsse, und ob dann, wenn das also dorthin, ein anderes nicht vielleicht … und ich kenne sie lange genug, um zu erkennen, wenn ihr eine Projektidee wächst, und ich erahne auch den Punkt, an dem ihr Gemurmel in Taten übergeht.
Ich fliehe rechtzeitig.
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Ich war morgens bei ca 16 Grad schon mit dem Hund im Wald und dachte, das wird ein richtig schöner Tag. Also entscheiden wir uns „für die positive Gefühlslage“ und machten Draußen-Pläne. Nur Spazierengehen und frische Luft und bisschen Sonne, kein Sport oder sowas. Als wir gegen 15 Uhr wieder heimkamen, waren wir total fertig. 28 Grad hier und für April einfach nur schrecklich. Ich will meine 4 Jahreszeiten wieder haben, aber dalli.
Mein Mann entwickelt bereits Umzugspläne nach Norden, weil Karlsruhe eine der heißesten Städte der Republik ist.
@PaulineM
An Umzug habe ich auch schon gedacht, allerdings in umgekehrter Richtung. Von Hamburg (Regen, Regen usw.) nach…? Ich liebe Hitze. Was ist sonst noch empfehlenswert in Karlsruhe?
@ Trulla
Das Schloss und der Hardtwald mitten in der Stadt, Musikhochschule und viel Kunst, Theater, Technik und Naturwissenschaften, alles auf einer kleineren Skala (300.000 Einwohner). Nähe zu Elsass und Schwarzwald. Eigentlich hat mich das alles mal angelockt, aber die Hitze in den letzten Jahren war schon brutal.