Mann mit Hut

Nach wie vor folge ich meiner kleinen Sommerobsession und suche mir weitere Soundtracks, Spaziertracks zusammen. Manchmal scheinen sie sogar zum täglichen Schreiben, zum Text zu passen. Allerdings ganz ungeachtet der Filme, aus denen die Stücke kommen, die meisten davon kenne ich nicht. Ich will einmal sehen, ob ich einige Melodien hier nach und nach unterbringen kann.

Ich habe mir einen Hut gekauft, eine Art Strohhut. Sommersonne auf dem Kopf finde ich nicht mehr so verträglich wie früher, habe ich in den wenigen und genau abgezählten Sonnenstunden der letzten Wochen gemerkt, und andere Kopfbedeckungen mag ich eher nicht. Also keine Baseball-Caps etc. für mich.

Nein, ich kaufte mir so einen altmodischen Strohhut, wie er fast unverändert seit hundert Jahren und mehr auf Männerköpfen vorkommt. Anhand alter Bilder ist diese Konstante leicht zu beweisen. In Form und Farbe wurde die Kopfbedeckung kaum variiert. Nur stand auf dem Etikett meines Exemplars jetzt irgendwas mit Recycling, das wird neu sein.

„Schwierig,“ sagte die Herzdame danach zuhause kopfschüttelnd und sah mich ausgesprochen skeptisch, wenn nicht schon direkt missbilligend an: „So etwas kann man nur am Strand tragen.“ Ich konnte das modegeschichtlich souverän widerlegen, was sie aber nicht interessierte. Meinung ist Meinung, und Meinung geht vor Fakten, man kennt das leider.

Aber egal. Ich trage einen leichten Anzug und einen sommerlichen Strohhut. Ich gehe so in die Stadt, ich zähle dort Männer mit Hut. Immer schön, wenn man etwas nachzählen kann, finde ich. Vielleicht sollte ich das auch beruflich … Ja, schon gut.

Zwölf Männer mit sommerlichem Hut zähle ich in einer halben Stunde in der rappelvollen Fußgängerzone hinter dem Bahnhof. Was ist das nun für ein Ergebnis, wie bewertet man das. Es ist ein okayes Ergebnis, befinde ich freihändig und ohne alle Benchmarks und Zielgrößen. Denn ich befinde bei solchen Fragen in aller Selbstherrlichkeit, was immer ich gerade befinden möchte. Es geht immerhin um nichts, nein, es geht hier nur um mich.

Und ja, zugegeben, einige Passanten gucken etwas seltsam. So viele Männer mit Hut laufen hier nicht herum, schon gar nicht mit Anzug und Hut. Es ist mir aber egaler als in früheren Jahren, stelle ich fest. Ich bin dezent overdressed und es macht nichts. Ich gehöre gerade so. Alles ist bekanntlich nur eine Phase, und Phasen wollen ausgelebt werden.

Ich bin immerhin nicht der Einzige, denke ich bemüht wie immer, während ich an einer Ampel auf grünes Licht warte. Ich habe hier zwölf Mittäter gesehen. Um mich herum ansonsten ein Volk in legerer Sportkleidung, in Jogginggemütlichkeit und in Normcore der tiefenentspannten Art. Ich habe gar nichts dagegen, sollen sie alle anziehen, was sie wollen. Vielleicht mache ich da auch bald wieder mit.

Ich ticke nur anders in diesem Jahr.

Dann stellt sich jemand neben mich, der hatte einen verdammt weiten Weg bis zu dieser Ampel, denn der muss aus einer anderen Zeit gekommen sein. Wie auch immer das zugegangen sein mag, er muss mehrere Jahrzehnte durchquert haben.

Er trägt einen edlen Nadelstreifenanzug, wie ich ihn lange nicht mehr in freier Wildbahn gesehen habe. Dazu eine Melone, einen regelrechten Bowler-Hat, wie damals in der Londoner City, auf dem Weg in die Börse. Und er trägt dazu auch einen wahrhaft mustergültigen John-Steed-Gedenkschirm, eng zusammengerollt. Wenn dieser Schirm actionfilmtaugliche Zusatzfunktionen der tödlichen Art hätte, es würde mich keine Sekunde wundern.

Der Mann sieht insgesamt aus wie mit der Bastelschere aus irgendeinem Filmmagazin geschnitten, dann hier in diese Hamburger Straßenszene eingeklebt. Es ist eine Art Collageneffekt. Plötzlich und nur sekundenlang sehe ich ungemein lebhafte Erinnerungsbilder. Ich sehe, wie ich so etwas als Kind gemacht habe, mit Schere und Klebestift. Stundenlang Modekataloge von Otto und Quelle zerschnippelnd. Im Kinderzimmer auf dem Fußboden, Bilder immer wieder neu zusammenfügend. Wir hatten ja nichts.

Mein bescheidener und gewöhnlicher Strohhut jedenfalls ist gar nichts gegen das Outfit dieses Gentlemans. Niemand sieht mich hier, alle sehen ihn an. Es wird mit Fingern auf ihn gezeigt, ich sehe es. Eine Gruppe Jugendlicher staunt unverhohlen, gleich werden sie Beweisfotos machen. Gut, denke ich. Mein Sommerhut ist eher dezent und geht also klar.

Wir gehen schließlich nebeneinander über die Straße, der Mann mit der Melone und ich. Zwei Männer mit Hut. Irgendwo müssen Trends eben anfangen, warum nicht hier vor dem Hauptbahnhof.

„Ich kaufe mir noch einen“, sage ich nach diesem Spaziergang entschlossen zur Herzdame. Denn so ein Hut weht schnell weg in einer winddurchtosten Stadt, wie es Hamburg in diesem Jahr fast durchgehend ist. So ein Hut kommt schnell abhanden. Die Herzdame hebt die Augenbrauen. Skeptische Blicke in Beziehungen, manchmal muss man sie einfach aushalten. Oder die Hand zum Hut heben, damit freundlich winkend lässig grüßen.

Fast schon vergessene Gesten sind das. Die auch einmal wiederbeleben.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

10 Kommentare

  1. „“““ ….. Immer schön, wenn man etwas nachzählen kann, finde ich. Vielleicht sollte ich das auch beruflich … Ja, schon gut. ….. „“““

    Einer – Ihrer „genialen“ *Neben-Sätze* …. Nur einer, DER vielen Gründe, warum ICH ausnahmslos IMMER (!) mit IHREM Blog den Tag beginne… so wie heute.. *DANKE* ;;–))

  2. „Meinung ist Meinung, und Meinung geht vor Fakten, man kennt das leider.“

    Dazu habe ich neulich den schönen (je nach Perspektive) Satz gelesen: Du hast zwar recht, aber meine Meinung gefällt mir besser.

    @Hut Also ich bin ja der Meinung, dass ein Hut immer eine gute Idee ist!

  3. Oh wei… das rüttelt nun wirklich an der Weltordnung! Seit Jahren – ach, was sag ich: schon immer! – lese ich hier täglich den Satz vom allerdings nur virtuell vorhandenen Hut. Und jetzt DAS…!!!

  4. Jahrzehntelang war ich, bis auf im Sommer, der hier: https://m.youtube.com/watch?v=huTPpWfJ_IA
    Aber der Bowler ist mir zu klein geworden, mein Kopf oder zumindest mein Ego ist angeschwollen. Dafür trage ich im Sommer einen Panamahut aus Papier, einst für eine heißlaufende Demo besorgt, denn meine Scheitelfrisur ist schon durchlässig genug für Sonnenbrand, aber noch zuviel für Sonnencreme.

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