Am Sonnabend habe ich Menschen aus dem Internet getroffen und dabei einen weiteren Avatar endlich mit einem Gesicht verbinden können. Erfreulich ist so etwas, immer noch. Nach all den Jahren, die ich, die wir so etwas schon machen.
Zwar fühlen sich Dates dieser Art immer mehr wie Treffen von Altgedienten an und man redet unweigerlich länger über frühere Zeiten, man erwähnt mehrfach Vergangenes, Verpasstes und vielleicht auch Verstorbene, man hat auch diese typischen „Was wurde eigentlich aus XY“-Momente, wie man sie wohl von großen Familienfesten etc. kennt, es kann kaum anders sein. Aber es ist doch immer noch Neues möglich und auch verlässlich zu erwarten. Neue Menschen und neue Geschichten, neue Situationen, neue Vorhaben auch.
Für dieses Treffen bin ich für meine Verhältnisse weit weg gewesen, in Barmbek, das ist immerhin mehr als zwei Stadtteile entfernt. Gefühlt alles außer der Gegend vor der Haustür habe ich in dieser Stadt ewig nicht gesehen, habe ich wieder gemerkt, überall überrascht mich der Anblick. Staunend durch die Straßen. Ich weiß, ich stellte es neulich bereits fest, es beschäftigt mich eben nachhaltig. Ich muss das viel ernsthafter angehen, dieses Rauskommen, echtjetztmal.
Denn ich weiß doch, wie man diese Wohnung verlässt. Da vorne ist die Tür, ich kann sie von hier aus beim Schreiben sogar sehen. „Dieser Ausgang war nur für dich bestimmt“, wird es sonst am Ende unweigerlich heißen, um das Kafka-Jahr leicht verdreht noch einmal anklingen zu lassen.
Ich weiß auch, wie ich aus dem kleinen Bahnhofsviertel herausfinde. Ich muss dieses Wissen nur umsetzen. Quasi Kinderspiel.
Erzählerstimme aus dem Off: „Am Nachmittag, als er vor die Tür gehen wollte, regnete es dann sehr stark.“
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Am Sonntag kühlt es ab, und wenn sie keine heiße, fast glühende Dachgeschosswohnung haben, dann ahnen Sie vielleicht gar nicht, wie lange man mehr oder weniger unbekleidet im etwas frischeren Durchzug sitzen oder liegen kann, nur genießend, dass sich alles auf einmal wieder überlebbarer anfühlt. Das kann ein stundenfüllendes Programm sein, dieses Liegen und Atmen. Und wäre man nicht ein halbwegs beherrschter Mensch, man würde jauchzen und frohlocken dabei, in diesem leichten, fast Gänsehaut auslösenden Wehen durch die Wohnung, zwischen den weit geöffneten Fenstern in sämtlichen Zimmern.
Vom Balkon aus sehe ich es auch bei den Häusern gegenüber. Alles wird aufgerissen, Fenster, Türen und Klappen in Dächern. Als würden die Wohnungen japsend und gierig wieder atmen nach den erstickenden Hitzetagen. Wenn der Wetterbericht stimmt, können wir nun eine Woche Luft holen und durch Regen spazieren, es soll mir recht sein.
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Gehört: Eine Folge Radiowissen über Rilke und eine über Iwan Bunin. Den Bunin schon vormerken für den Herbst, Russen lesen sich besser in der dunkleren Jahreshälfte. Der Rilke läuft einem eh rechtzeitig in den Timelines über den Weg, wenn es wieder Zeit wird und der Sommer irgendwann groß genug gewesen sein wird. Momentan ist das noch nicht absehbar.
Der nächste Herbst, er ist bald komplett verplant, was Literatur angeht. Und so soll es auch sein.
Dann hörte ich eine Folge über Adelheid Duvanel, „Schweizer Schriftstellerin im Schatten“, von der ich noch nie gehört hatte. In der Sendung heißt es beruhigend, so gehe es vielen. Es fehle der Autorin allgemein an Anerkennung im Literaturbetrieb und beim Publikum. Die Duvanel später also auch einmal nachlesen, Gerechtigkeit für Übersehene.
Auf Amazon sehe ich eine kurze Rezension zu einem Band mit Erzählungen von ihr, sie besteht nur aus einer Zeile: „Meiner Schwiegermutter gefallen die Geschichten darin.“ Ob das ein Lob ist? Ist es ein argloser oder ist es eher ein abgründiger Satz?
Man weiß es wieder nicht.
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Und sonst? Hier noch ein weiteres Update zu den Wahlen in Frankreich. Warten Sie kurz, ich lege Musik dazu auf.
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Bei „Quasi Kinderspiel“ kam mir sofort Wolf Haas in den Sinn.