Und so schlecht ist es nicht

Wenn die Timelines als Indikator zu verwenden sind, und ich habe keinen Zweifel, dass sie es sind, gibt es gerade eine weitere Corona-Welle. Und ich staune noch einmal über die beträchtliche geistige Abwehrleistung der Menschen auch in meinem Umfeld, die das nicht wahrhaben wollen. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Das Verbiegen der Realität als Volkssport. Dabei muss man doch nur die Meldungen im eigenen Kreis flüchtig mitzählen, es reicht ja schon.

Wie hat es sich alles seltsam entwickelt.

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Draußen findet währenddessen das Revival der Herbstmode statt. All die Trenchcoats und Lederjacken aus dem letzten Jahr sehen immer noch wie eben gekauft aus. Sie werden etwa eine Woche lang erneut eingetragen, im in jeder Hinsicht überzeugenden Oktoberwetterimitat dieser Woche. Auf dem Spielplatz vor der Haustür etliche Kinder in bunter Regenkleidung und in Gummistiefeln, die mit leuchtenden Farben und kindgerechten Mustern auch an solchen Tagen fröhlich wirken sollen. Zögernd stehen die Kleinen am Rand der Sandkiste und wissen dann nicht recht weiter. Unbenutzte Schaufeln halten sie in den Händen, während die Eltern sich weiter hinten mehr oder weniger geduldig unterstellen. Sie sehen auf ihre Handys sehen und warten ab.

Schaukeln schwingen leer im Regen, ganz sacht nur.

Obdachlose schieben tropfnasses Hab und Gut in lädierten Einkaufswagen an der Kirche vorbei. Vor den Cafés und Restaurants die zusammengeklappten Sonnenschirme, die leeren Tische und die zusammengeschobenen oder aufgestapelten Stühle. Kleine Pfützen auf Holz- und Plastikflächen. Über die teils noch ausliegenden laminierten Speisekarten ziehen Schauer hinweg, noch einer und noch einer, und dann immer so weiter. Ttagelang wird es noch so gehen. Das Programm ist insgesamt wenig originell und gut absehbar, aber ich finde es okay.

Sich auch mal bescheiden geben, genügsam sein. Immerhin ist es nicht zu heiß in dieser Stadt. Auch einmal das Positive unter dem Regenschirm sehen, in stoischer Selbstermunterung pfeifen und weitergehen. So beginnt hier der Juli, so beginnt bei uns das zweite Halbjahr, und so schlecht ist es nicht.

Am Nachmittag habe ich einen Termin mit der Herzdame in Winterhude. Ich verlasse also wie programmgemäß schon wieder unser Quartier. Wie so ein Mensch, der regelmäßig in der Stadt herumkommt. Im vollen Bus, der sich ruckelnd durch den zähen, stockenden Feierabendverkehr schiebt, riecht es intensiv nach nassen Hunden, Klamotten und Menschen.

Eine schwer mit Einkäufen bepackte Mutter schimpft laut, zeternd und anhaltend mit ihrem kleinen Sohn. Der hört überhaupt nicht hin, sieht vielmehr die ganze Zeit konzentriert aus dem Fenster in den sich stauenden Verkehr da draußen und träumt von etwas anderem.

Und wenn man sich die erwachsenen Passagiere mit ihren matten Werktagsgesichtern und den Blicken ins Leere so ansieht: Wer weiß, wer noch.

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2 Kommentare

  1. Definitiv zeigt sich Corona gerade recht präsent. In unserem Umfeld gab es gerade acht Fälle verteilt auf vier Familien und von leichten bis deutlich unangenehmen Symptomen war alles dabei und Tests können auch 2024 locker 12 Tage positiv ausfallen.

  2. Ich liebe diese Situationsbeschreibungen, ich muss es jetzt einfach mal schreiben! Wenn ich meine Umwelt beobachte, frage ich mich manchesmal: wie würde der Herr Buddenbohm das wohl in Worte fassen?
    Danke fürs Teilen! Voll schön, immer wieder.

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