Neuerdings, ich habe es noch gar nicht erwähnt, kreisen abends die Mauersegler im Himmel über dem Spielplatz. Wenn es etwas ruhiger wird, wenn die Stadt etwas nachlässt, wenn man die Schreie dieser Vögel deutlicher hören kann, lösen sie das etwas eintönige Rufen des Grünfinks ab. Sie übernehmen die Tonspur, bis es spät dunkel wird.
Tatsächlich Mauersegler. Von denen doch immer nur andere in meine Timelines und in den Blogs geschrieben haben, die ich stets vermisst habe. Vielleicht habe ich sie nie wahrgenommen, vielleicht gab es sie tatsächlich nie da, wo ich wohnte, ich weiß es nicht.
Jetzt erst sehe und höre ich sie also endlich jeden Abend. Allerdings auch nur am Abend. Zuverlässig fliegen sie in der Sommerprogrammreihe der Freilichtvorführungen nach dem täglichen Arbeitsprogramm der Stadt, hoch über der Wetterfahne auf dem Kirchturm. Zwei, drei Wochen vielleicht noch, dann sind sie schon wieder weg.
„Mauersegler schreien, zersicheln diese Luft“ – wenn ich ihre Rufe höre, habe ich gleich den Text von Degenhardt im Kopf, das Lied vom Vorstadtfeierabend. Das ist auch so ein Lied, bei dem man sich mit dezentem Gruseln fragen kann, wie es denn nun gealtert ist. Degenhardt schrieb einige Texte, die aus heutiger Sicht eher unerträglich sind, links doch etwas zu weit über den Rand hinaus, aber er lag auch oft richtig. Die Jahre und die Gegenwart bestätigen es in kaum zu übersehender Weise, siehe auch Hannes Wader et alii.
Sie hatten damals deutlich öfter Recht mit ihren Ahnungen und Ängsten, als wir es uns heute wünschen können.
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Gelesen: Ein taz-Longread über den Tourismus auf Mallorca und Ibiza, bzw. über die Probleme damit. Ein Thema, das mich weiterhin fasziniert, weil viele Aspekte in gewisser Weise und natürlich nicht in diesem Ausmaß auf unser kleines Bahnhofsviertel ebenfalls zutreffen. Unser sogenanntes buntes, lebendiges (lies: überfülltes) Szeneviertel, das vom Hamburg-Tourismus eine große, eine allzu große Portion abbekommt. Das Thema hat selbstverständlich auch Bezüge zu Helgoland, Sylt, Travemünde und überhaupt zur Küste. Ich kann im Geiste also immer etwas aus meinen Erfahrungen und aus meinem Alltag anlegen. Fast mein ganzes Leben habe ich dort verbracht, wo andere gerne hinreisen. Mit Ausnahme der paar Jahre auf dem Land, die doch eher im Nirgendwo.
Ich habe mir diesen Artikel über den Massentourismus unterwegs beim Einkaufen von Software vorlesen lassen, was ich, warum eigentlich, bisher noch nie gemacht habe.
Es ging aber gut, das also vielleicht öfter so machen.
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Gehört: Einen Beitrag im Deutschlandfunk: Klaus Mann im Spiegel einer ganzen Epoche. Über die neu erschienene Biografie von Thomas Medicus. 20 Minuten. Es ist, um es vorwegzunehmen, keine der Biographien mit sensationellen neuen Entdeckungen oder unerwarteten Wendungen. Es ist ein Aufarbeiten des Bekannten, was nicht als Kritik gemeint ist. Ein umfangreiches, gründliches Werk ist es sicher.
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Dann noch einen weiteren Film von Stéphane Brizé auf arte gesehen und wieder sehr gemocht: Man muss mich nicht lieben (Anne Consigny und Patrick Chesnais, beide ungemein überzeugend). Noch ein Liebesfilm, ebenso empfehlenswert wie neulich schon Mademoiselle Chambon, ganz ausgezeichnet. Ich bin hell begeistert von seinen Figuren. Im Wikipedia-Artikel zum Regisseur steht ein Zitat von ihm:
„Ich verwende meine Kamera in meinen Filmen eigentlich immer als Lupe, mit der ich bestimmte Momente und Gesten in voller Größe zeige und überhöhe. Bis die Kleinigkeiten, die man im Alltag nicht einmal bemerken würde, so zur Explosion gelangen. Darin liegen meine Höhepunkte, und darin liegt für mich auch die besondere Macht des Kinos.“
Damit kann ich etwas anfangen, das verstehe ich auch als Autor und man könnte auch noch einen Rückbezug zu Degenhardts Liedern am Rande mitdenken.
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Vielen Dank für diese wunderbare Verknüpfung von Väterchen Franz und den Mauerseglern. Von den Vögeln habe ich ebenfalls erstmals bei Degenhardt gehört. Ich bin ein großer Fan von beiden, dem linken Chronisten vornehmlich der alten Bundesrepublik und den faszinierenden Sommergästen, die auch in späteren Liedern Degenhardts gelegentlich wieder auftauchen. Eine unbedingte Buchempfehlung zu Mauerseglern ist Mark Cocker: „One Midsummer’s Day: Swifts and the Story of Life on Earth“ (UK 2023, inzwischen auch als Taschenbuch erschienen, aber m.W. nicht auf Deutsch); darin verknüpft der Autor die Schilderung eines Sommertags im Garten mit der Geschichte des Lebens auf der Erde und allerlei Bemerkens- und Wissenswerten über Mauersegler. Großartiges Nature Writing.
Zu den Seglern habe ich diesen wunderbaren Textfetzen in Erinnerung: „They peeled off from the rest of the birds about seventy million years ago. They slept on the wing above dinosaurs. What is a pandemic to them?“ (https://www.newyorker.com/news/letter-from-the-uk/swifts-and-the-fantasy-of-escape)
In Berlin sind sie in diesem feuchteren Jahr zum Glück auch wieder präsenter
@Christian:
Was für eine (tägliche) ‚Bereicherung‘ durch die Beiträge der *MIT-LESER* dieses Blog…. DANKE !