Gehört: Ein Stück beim Deutschlandfunk, US-Superreiche – Nicht von dieser Welt. Zwischen Gesellschaftsutopie und Gottkomplex. Keine allzu beruhigende Sendung, wie man sich denken kann. Man möchte das alles gar nicht wissen, aber nichts davon zu wissen ist auch wieder nicht richtig. Der so unangenehm schmale Grat der korrekten Informationsmenge.
Außerdem gehört: Ein Zeitzeichen zu Antoine de Saint-Exupéry. Aus dem die Diktatfunktion gestern beim Spaziergang einen Antony the Saint-Super machte, das ist auch schön. Vielleicht muss ich an meiner Aussprache französischer Begriffe arbeiten, das mag sein. Es gibt auch eine Lange Nacht über ihn, soweit reicht mein Interesse an Fuchs und Prinz allerdings nicht. Ich melde es hier nur eben als Service-Hinweis.
Und schließlich habe ich weiter die Lange Nacht über Erich Kästner bis zum Ende gehört. Ich fand in der Reihe bisher zwar alle Folgen gut, diese aber besonders. Ich empfehle sie noch einmal und ausdrücklich.
***
Ein Lebenszeichen von Frau Novemberregen, wie erfreulich.
***
Wo waren wir. Wir waren in München, gerade angekommen. Menschen in Lederhosen und Dirndl ziehen an unserem Hotel vorbei. Sie besuchen ein Event in einem nahen Biergarten, bekommen wir dann mit. Es geht mir etwas gegen den Strich, dies so zu notieren, es ist wieder zu viel Klischeeware. Aber wenn sie da doch tatsächlich in Rudeln so gekleidet herumlaufen, was soll man machen.
Kurz überlege ich zum wiederholten Mal, wie außerordentlich fremd uns das ist, so historisierend volkstümlich ausstaffiert herumzulaufen. Wie undenkbar das für den norddeutschen Landesteil längst geworden ist. Oder immer war, so genau kenne ich mich nicht aus.
Es stellt keine Wertung dar, dieses Überlegen. Ich habe da keine Meinung, auch keine reflexmäßige Aversion. Ich finde es eher amüsant, wie schwer es ist, sich auch nur auszumalen, wir würden in Hamburg oder in Küstennähe gewohnheitsmäßig in Buscherump, dunkelblauem Troyer und mit Elblotsenmütze auf dem Kopf herumlaufen. Wir würden in diesem Outfit routinemäßig auf Reisen gehen und Staatsgäste so gewandet empfangen. Zur Kirche, zur Wahl und zu anderen wichtigen Anlässen so gehen etc., Alltag in Marineblau.
Wobei ich eine Elblotsenmütze sogar besitze, fällt mir ein, sie steht mir aber nicht. Das Helmutschmidthafte ist vielleicht nicht ausgeprägt genug in mir vorhanden, mag sein.
Ich stelle mir einen Moment bemüht vor, wir würden bei uns so herumlaufen, gerne und oft und viele von uns. Die Frauen und Mädchen vielleicht in Kleidern, wie sie bei den Auftritten der Finkwarder Speeldeel getragen werden, und wie man sie sonst nie im Alltag sieht.
Ich stelle mir vor, wir würden uns am Wochenende mit Freunden unter freiem Himmel treffen, gemeinsam Unmengen Kööm trinken und inbrünstig Shantys dabei singen. Familienverbände mit Gitarre und Flöte und allem. Rolling home, Wir lagen vor Madagaskar etc. Ich stelle mir vor, das wäre normal.
Vielleicht würde ich Letzteres sogar nett finden. Ich mag Shantys manchmal, so viel innere und verstetigte Küstennähe muss sein.
Aber davon abgesehen – wir würden uns eben verkleidet fühlen. Anders gibt es meine Fantasie nicht her. Und die Bayern, also viele Bayern, fühlen sich in dieser Kleidung nicht so, unterstelle ich. Sie fühlen sich im Gegenteil besonders echt, wenn sie ihre Trachten tragen, so wird es sein. Sie fühlen sich authentisch. Es ist immer wieder ein faszinierender Umstand für mich.
Die Familie der Herzdame hat in ihrem Heimatdorf vor zwei Generationen eine Volkstanzgruppe gegründet, mit traditioneller Kleidung aus der Region und allem. Wir haben also etwas Bezug zum Thema, und diese Volkstanzgruppe war fraglos auch wichtig für die Dorfgemeinschaft. Aber ob da künftig noch genug mitmachen werden – es ist nicht normal und etabliert genug, bei uns ein derartiges Hobby zu pflegen.
Man kann auf das latent unheimlich Rückwärtsorientierte in der einen und auf das geschichtsvergessene, so bedauerlich Traditionslose in der anderen Ausprägung kommen. Man kann das Thema lange diskutieren, schon klar. Vorteile, Nachteile, kulturgeschichtliche Ableitungen. Historische Erklärungen und auch die soziologischen Besonderheiten der Bundesländer.
Wie auch immer: München ist jedenfalls immer ein Erlebnis für uns.
Ein Erlebnis, bei dem es auch vorkommen kann, wie ich kurz darauf in einer Bahn sehe, dass grell geschminkte Platinblondinen mit höchst unwahrscheinlichen und stark überzeichnet wirkenden Figuren goldene Dirndl mit Glitzer und reichlich Blingbling auf dramatisch hohen Absätzen durch die Stadt balancieren. Wie inszeniert ist das denn wieder.
Da will ich mich jedenfalls nicht beschweren und auch keineswegs lästern. Ich finde es meist unterhaltsam dort. Man sieht einmal andere Menschen, man kann etwas notieren. Und dann bin ich auch schon zufrieden, denn ich bin ein genügsamer Reisender.
***
Sie können hier Geld in die virtuelle Version des Hutes werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch. Die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.
Oh, Dirndl und Lederhosen haben zumindest in München wenig mit Tradition zu tun, sondern sind Partykleidung für alles, was in Biergärten und Bierzelten stattfindet. Etwa wie sich auch Leute mit anderem Musikgeschmack schwarz anziehen würden, wenn sie zum Metalkonzert gehen.
Ich habe auch schon allerliebste Dirndlvariationen mit recht eindeutig slawischen Stickmustern gesehen, kombiniert mit diesem reifartigen Kopfschmuck, den ich sonst nur aus russischen Märchenfilmen kenne.
Die ähnliche Kleidung hat die gleiche Funktion wie das Bier: Schafft Gemeinschaft. Der eher traditionelle Schnitt hat dann halt den Vorteil, überaus den meisten Leuten zu stehen.
Erstaunlicherweise ist es so, dass das Dirndl eigentlich gar nicht traditionell, sondern eine Erfindung aus der Jahrhundertwende. https://de.wikipedia.org/wiki/Dirndl#Erfindung_um_1900 Von Bielefeldern. Das ist alles ziemlich absurd.
Wohingegen ich Troyer als Alltagsbekleidung durchaus zu schätzen weiß.
Ja, ich weiß. Aber es hat für mein Verständnis die Funktion übernommen,echt zu wirken, und darauf kommt es an. Wie bei allen Fake-Traditionen.
Vielen Dank für die Verlinkung zu Frau Novemberregen. Das Gedankenkarussel kann nun abbremsen.