Wir sitzen vor einer Pizzeria in Kaltern am See. Pizza ist selbstverständlich Pflicht, wenn man schon in Italien ist, und sie ist prompt wieder hervorragend. Am Nebentisch liest eine Frau ihrem Mann die digitale Version von Springer-Presse-Meldungen vor. Passend und stimmig in dauerempörten Tonfall, mit stetem Kopfschütteln und weit hochgezogenen Brauen: Was erlauben Welt, nein, also wirklich, was sagt man dazu, hör doch mal, das gibt es doch nicht, das jetzt auch noch! Versatzstücke der Aufregung. Fortwährende geifernde Ereiferung als Grundhaltung, es muss auch anstrengend für die Betroffenen sein. So bekommt man diese Weltsicht wieder einmal in extenso mit, und schön ist das nicht.
Vor vielen Jahren hatte der Herr Korten, die Älteren erinnern sich, einmal den Begriff des Empörungsfastens geprägt, fällt mir dabei wieder ein. Es ist immer noch ein guter Gedanke.
Aber Stichwort Politik: Von der sehe und höre in diesem Urlaub abgesehen von dieser Begegnung sonst nichts, überhaupt nichts. Keinen einzigen Aufkleber an irgendeinem Laternenpfahl finde ich, kein halb abgerissenes Plakat einer Partei sehe ich. Keine Terminhinweise auf politische Veranstaltungen oder Demos und dergleichen, überhaupt nichts. Das ist mir, glaube ich, bisher in Südtirol nicht passiert.
Aber es wird nur ein weiterer Zufall sein, diese komplett unpolitische Woche. Bei der mir erst später auf der Rückfahrt in München wieder Botschaften in der Stadt auffallen werden, die dann denen in Hamburg ähneln, Gaza, Putin, Rechtsradikalismus, zu hohe Mieten etc.
Plakate sehe ich in der Reisewoche ansonsten nur für ein Konzert von Umberto Tozzi. Für das uns sogar spontan und freundlich Karten angeboten werden. Umsonst könnten wir dorthin gehen, aber wir schaffen es dann nicht, wir sind zu hitzegeschädigt und durch.
Etwas schade ist es schon, denn ich hätte das hier einmal im Original hören können, es hätte mich interessiert:
Wir hören das Konzert dann abends vom See her, es klingt nach großer Veranstaltung. Wummernd weht es heran, auch Gloria, der andere große Kracher des Sängers.
Beim späten Abendspaziergang in der endlich etwas milderen Luft an den Weinbergen entlang sehen wir etwas, das mich musikalisch wieder auf andere Gedanken bringt, und mit dem ich nicht gerechnet habe: Glühwürmchen am Wegesrand. Vor Jahrzehnten habe ich die zuletzt gesehen. Es ist gefühlte Ewigkeiten her und war damals auch im Süden, in Bulgarien. Sie kommen in Schleswig-Holstein und Hamburg nicht vor.
Sie begegnen mir sonst nur noch in älteren Erzählungen, Romanen und Liedern. Aber jetzt, ich glaube, ich gucke nicht richtig: Ein helles Auffunkeln und Blinken in der Nacht, erst nur eines, dann vielfach, den Weg entlang.
Wir machen sinnlose Fotos davon, ein schwachgelber Punkt auf schwarzem Grund, als ob es etwas beweisen würde, als ob es ein brauchbares Souvenir wäre. Wir würdigen die für uns so seltenen Insekten einigermaßen ergriffen und angemessen. Wer weiß, ob wir die noch einmal sehen werden.
Ich lese nach, die Art ist auf dem Rückzug, es gibt zu viel anderes Licht in den Nächten, wie es nicht anders zu erwarten war. Oder, wie die Söhne sagen: Unsere Kinder sehen die dann aber nicht mehr. Die Zukunftserwartungen dieser Generation allerdings sind ein zu weites Feld, darüber müsste man, nein, darüber müssten sie Bücher schreiben.
Jedenfalls habe ich auf dem Rückweg zur Ferienwohnung das Lied vom Glow Worm im Kopf, etwa in der Aufnahme von den Mills Brothers. Es gibt etliche Versionen des Songs, Bing Crosby, Dean Martin und Konsorten. Alle haben es gesungen, es ist ein swingender Klassiker.
So versorgt mich der Urlaub diesmal nicht nur mit Pizza uund Eis, sondern auch mit Musik und erstaunlich buntem Programm. Shine, little glow-worm, glimmer, glimmer. Leise pfeifend zurück in die Ferienwohnung.
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Gehört: Eine Folge Radiowissen über die drei Bibliotheken von Lion Feuchtwanger. Am Rande kommt auch sein Roman „Erfolg“ in der Sendung vor, der hier auf dem Lesestapel für den Frühherbst (ab Holunderbeerendunkelfärbung- und Haselnussfruchtreife übrigens, wir werden das beachten und berichten) bereitliegt.
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Lieber Herr Buddenbohm,
Sie sind an allem so angenehm interessiert, vielleicht sehen Sie mir deshalb die folgende, leicht ins Besserwisserische streifende Ergänzung nach:
Dem anglophonen „Glow worm“ liegt Paul Linckes „Glühwürmchen-Idyll“ aus seiner Operette LYSISTRATA (1902) zugrunde, mit dem Text von Heinz Bolten-Baeckers „Glühwürmchen, Glühwürmchen, schimm’re“. Die englische Wikipedia hat – im Gegensatz zur deutschen – weitere Notizen zur Genese des Titels: https://en.wikipedia.org/wiki/The_Glow-Worm
Ah, faszinierend, danke!
Hier, in Ostwestfalen, nicht Nord-, sondern eher Mittel-, sehen wir im Garten( viel Gebüsch )an warmen Sommerabenden viele Glühwürmchen, immer wieder bezaubernd.
ach ach ach. Ich denke oft an Herrn Korten. Und freue mich, dass es anderen wohl ebenso geht.
Ich war als Jugendliche mal in Kaltern und habe jede Minute davon gehasst. Jetzt sind wir wieder dran vorbeigefahren und ich denke immer oh wie schön ist Südtirol (habe rübergewunken) Gruß aus dem Trentino