Es gibt alles und in obskurer Mischung

Früh alle geweckt und schwungvoll bis energisch aus den Betten geworfen. Früh das Auto erneut mit der wie immer erstaunlichen Gepäckmenge beladen und dann mehrere Navi-Systeme verglichen, welches meint wie lange und wo entlang. Dann das übliche und eher grotesk ausfallende Ferienwohnungsrestefrühstück. Es gibt alles und in obskurer Mischung, das Zeug ist schließlich bezahlt und muss weg.

Noch einmal sämtliche Ritzen und Winkel der Ferienwohnung gründlich nach vergessenen Kabeln, technischen Kleinteilen etc. abgesucht. Bei einigen Kabeln länger überlegt, ob sie zu uns oder nicht doch vielleicht zur Wohnung gehören. Hoffentlich dabei nichts demontiert und geraubt. Leise Zweifel bleiben.

Wir waren, es sei zumindest nebenbei erwähnt und ist keine bezahlte Werbung, nein, auf dem Mareithof der freundlichen Familie Battisti. Das war alles fein dort, ich kann es empfehlen. Mir gefiel besonders die Nähe zum Ort und zu den Einkaufsmöglichkeiten, es sind nur ein paar Gehminuten. Ich mag es, wenn ich nicht fahren muss, und ich kaufe ausgesprochen gerne Alltägliches ein. Auch im Ausland, auch im Urlaub.

Die zeitige Rückfahrt mit dem Auto über den Brenner verläuft ebenso reibungslos wie die Hinfahrt. Es hat aber immer etwas von glücklichem Zufall, verbunden mit einem eher unangenehmen Gefühl der Hochspannung.

Und vom nächsten Jahr an bis etwa 2030, was sind das für Planungszeiträume, scheint unsere Standard-Reiseform leider keine allzu gute Idee mehr zu sein: Die Brennerstrecke wird teils einspurig. Man will es sich nicht vorstellen, wie es dort dann zugehen wird, und ich weiß, dass auch manche Hoteliers etc. in Südtirol diese Aussichten einigermaßen schauderhaft finden.

Am Ende müssen wir demnächst sogar anders Urlaub machen, müssen wir ganz neue Pläne machen, also noch mehr im Vorwege nachdenken. Ich bin jetzt schon von der Vorstellung genervt, denn ich kann die Online-Recherche nach Urlaubszielen, Unterkünften etc. nicht ausstehen. Es ist eine furchtbare, freudlose und stark belästigende Beschäftigung, die nur unter fortwährendem Fluchen über die schwersten UX-Fails und Dämlichkeiten auf Ferienwohnungsseiten, in Buchungskalendern etc. zu ertragen ist. Und auch dann kaum.

Aber gut, andere mögen das gerne, ich weiß. Und sie machen es ganzjährig nebenbei, quasi hobbymäßig. Ich aber möchte lieber nicht. Egal.

Da wir in und um Kaltern viel mit dem Bus herumgefahren sind, was in Südtirol erheblich besser und zuverlässiger geht als in vermutlich jeder deutschen Provinz (die Gedanken wandern mit großem Bedauern kurz nach Nordfriesland), kommen wir hin und zurück und auch eine Woche vor Ort in den Bergen mit nur einer Tankfüllung aus. Das ist eine Premiere, eine günstige und umweltfreundliche, das freut mich. Das mit den Bussen hätten wir vor Jahren schon machen sollen, wir haben es zu spät erkannt und genutzt.

Ähnlich wie in den letzten Jahren haben wir dann exakt ab dem Brennerhöhepunkt schlagartig verlässlich grauen Himmel. Es ist eine beeindruckend präzise Wetterscheide. Wie bei diesen digitalen Werbetafeln im Stadtbild, auf denen das Bild ab und zu wechselt, so eingeschaltet wirkt dieser Effekt über uns. Ein öder Himmel erstreckt sich auf einmal wieder endlos weit über uns, über die Bergketten hinweg.

Er ist uns Hamburgern in seiner Anmutung so vertraut wie die Raufasertapeten zuhause, und er bleibt uns an diesem Tag auch prompt bis rauf in die Heimat erhalten, wir werden auf die Rückkehr eingestimmt.

Unter grauem Himmel ist es nicht heiß, ich will mich also nicht beschweren, ich schreibe nur mit.

Ab der deutschen Grenze, man kann es nicht übersehen, wird der Verkehrsstrom schlagartig deutlich anstrengender, stressiger und immer öfter gestört. Es stockt und staut. Der Verkehr wird ruckeliger und die Vorwärtsbewegung der Menge anfälliger für die vielen Irren mit Egoproblemen– das fehlende Tempolimit und die Folgen wieder.

Siehe dazu aber auch in anderen Blogs, bei Frau Casino etwa und bei Christian Buggisch. Alle Argumente sind schon hundertfach geschrieben worden, an so vielen Stellen. Ein Thema, dem man nur noch mit großer Lustlosigkeit begegnen kann.

Wobei wir wahrlich keinen Mangel an solchen Themen haben.

München erreichen wir überaus pünktlich, das Auto wird problemlos abgegeben, ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert. Drei Stunden lungern wir noch in der Stadt herum, bis unser Zug in den Norden fährt.

Wir sorgen für etwas Bewegung, wir gehen ein wenig und allerdings eher sinnlos im Zentrum herum. Wo gerade ein laustarkes Happening der Hare-Krishna-Leute stattfindet, mit enthusiasmiertem Mantra-Gesang, Glöckchenklingeling, unverständlichen Lautsprecherdurchsagen, vielfach gerufenen Heilsbotschaften und allem. Was ich einigermaßen absurd finde, da ich neulich erst im Blog behauptet hatte, den Begriff Sekte lange nicht mehr gehört zu haben.

Wie unfassbar zuverlässig die Wirklichkeit mich bei so etwas trickreich beliefert.

Wir essen ein wenig, auf Wunsch der Söhne bei einer großen Imbisskette, man macht etwas mit. Wir gehen zurück zum Hauptbahnhof München, in dem alles kaputt ist. Die überwiegende Mehrzahl der Schließfächer, die Wechselautomaten daneben auch, Toiletten, das Gebäude sowieso. Herumirrende Touristen aus diversen Ländern, ein mehrsprachiges „Das gibt es doch alles nicht!“ Man hört deutlich, dass man es allgemein nicht glauben kann, was das für Zustände sind. Das hat man sich so nicht vorgestellt.

Zwei blauweiße Werbefahnen des Hofbräuhauses in München in einem Park

Dann in den ICE, in dem es dem aktuellen Klischee entsprechend tatsächlich nur eine einzige funktionierende Toilette gibt. Aber vielleicht sollte ich lieber schreiben, in dem es immerhin eine Toilette gibt. Alles bemüht positiver sehen! Auch die unübersehbaren Zeichen des Niedergangs in diesem Land. Vielleicht auch irgendwas schön daran finden, den versteckten Charme im Abstieg suchen. Was bei fehlenden Toiletten allerdings nicht eben einfach ist.

Die erste routinemäßige Unwetterwarnung für Hamburg erreicht uns kurz darauf noch vor Würzburg, während hinter uns, ich sehe es später in den Nachrichten, die Autobahnen um München herum im Starkregen absaufen. Nur ein paar Stunden später, und wir wären wohl nicht so einfach durchgekommen. Womit es in diesem Jahr ähnlich wie im letzten ist, die Unwetter verfehlen uns auf unseren Wegen nur knapp – auch das wird wohl immer glücksspielhafter, wenn man reist.

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In Hamburg sind bei unserer Ankunft am späten Abend noch etliche stark aufgebrezelte und bestens gelaunte Party-People vom CSD unterwegs, der an diesem Tag stattgefunden hat. 250.000 Gäste waren dabei, oder zumindest eine Menge ungefähr in dieser Größenordnung. Zertretene Glitzerkonfettireste liegen überall auf den Wegen um den Bahnhof, leere Sektflaschen kollern herum und etliche neue Aufkleber mit politischen Botschaften etc. sehe ich an den Stromkästen und Laternenmasten.

Die queere Szene hat also ihren berühmten Bonbontanz … Pardon, ich muss beim Anblick von Partyresten aller Art heute noch verlässlich an diesen uralten Clip aus der Sesamstraße denken. Manche Szenen bleiben einem fürs Leben. Wir haben damals ungeheuer konzentriert ferngesehen, denke ich.

Es ist erfrischend kühl in Hamburg. Jedenfalls für Menschen, die ziemlich weit im Süden waren. Es tröpfelt auch ein wenig, freundlich zurückhaltend nur, ein angedeuteter Willkommensregen. Es ist mir alles recht so.

Nächtliches Kofferauspacken in der nur zögerlich durchlüftenden Wohnung, die noch backofenwarm von den letzten Tagen ist. Es ist kein akzeptabler Gedanke für mich, so etwas am nächsten Morgen erst zu machen. Es muss nach Reisen alles sofort verräumt werden.

Ankommen. Fertig werden, umschalten. Sich dem Alltag wieder annähern.

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Und apropos Ankommen, es kam eine erfreuliche Geschenksendung mit weiterer Herbstlektüre: Sämtliche Erzählungen der Adelheid Duvanel. Der erste Satz, besonders einladend: „Noch vor einigen Monaten bemühte ich mich, gesellig zu sein.“ Sofort ein Lieblingssatz. Ich hatte neulich die Radiowissensendung über die Autorin verlinkt – Schriftstellerin im Schatten. Herzlichen Dank!

Es kamen auch noch ein Eimer mit reichlich Eichhörnchenfutter für die Mitbewohnerinnen auf den Bäumen im Garten und zwei weitere Bücher, es war ein Fest der Geschenksendungen. Zum einen Wunschlektüre für den Stapel der Herzdame, „Sörensen am Ende der Welt“ von Sven Stricker, zum anderen das in den Feuilletons vielgelobte und von mir vor einiger Zeit bei Anke Gröner entdeckte „Jeder schreibt für sich allein“ von Anatol Regnier. Noch einmal herzlichen Dank!

Die Herbstlektüre wird damit reichlich leserinnengestützt ausfallen, es ist alles sehr fein.

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5 Kommentare

  1. Darf ich eine Frage zu Ihrer Standard-Reiseform stellen, die mich wirklich umtreibt? Ich verstehe den Ansatz, mit dem Zug anzureisen und vor Ort einen Mietwagen zu nehmen, um dort verkehrstechnisch flexibel zu sein; ich mache das selbst oft so. Aber was ist der Grund dafür, für eine Reise von Hamburg nach Südtirol bis München den Zug zu nehmen und ab dort einen Mietwagen? Es gibt ja durchaus Züge zwischen München und Bozen und Mietwagenverleiher in Südtirol. Und noch eine kleine Anmerkung zu Ihrem Absatz über die zukünftige Baustelle auf der Brennerautobahn: die Hauptleidtragenden aller Verkehrsprobleme auf dieser Strecke sind weder die Durchreisenden noch die Südtiroler Hoteliers, sondern die Anwohner, sowohl auf Nordtiroler als auch auf Südtiroler Seite (kleine Frage der Perspektive ?)
    https://tirol.orf.at/stories/3239244/

  2. Es gab eine Reihe von Gründen, unter anderem einen, den es heute vielleicht nicht mehr gibt – die Autovermietungen in Südtirol hatten bei unseren Ankunftszeiten nicht geöffnet. In München schon.

  3. Sherlock Humbug und der Bonbontanz der Krabbelkäfer! Yes! Von mir häufig zitiert (und sehr selten verstanden), wenn jemand zu einer etwas abseitigen Konklusion kommt. Möglicherweise ein Generationsproblem. Danke dafür und Sesamstraßengruß!

  4. Verreisen in den Urlaub; irgendwie schon ein trauriges Konzept.
    Ich lese und höre zu dieser Jahreszeit immer wieder solche Reiseberichte und es drängt sich mir immer mehr der Eindruck auf, dass viele Verreisende gar keinen Spaß in ihrem „Urlaub“ haben. Zu viel Stress, laut, Autos, fremde Betten, etc.
    Brauchen dann Urlaub vom Urlaub. Hätte ich ja keine Lust drauf.

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