Im ersten Moment nichts

Vorweg noch einmal ein herzlicher Dank für die überaus freundliche Zusendung von weiterem Schreibgerät vom Wunschzettel!

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Es gibt ein neues Update zum Thema Tourismus, Massen etc.. Diesmal kommt es aus Norwegen: „Interest in the the Nordic region as a whole has risen this summer as tourists have sought cooler destinations amid high temperatures in southern Europe.“

Es geht nun alles recht schnell. Wir könnten in flotter Folge Land um Land durchgehen und die Verlagerung in den Norden in den nächsten Jahren live verfolgen und reporten. Aber was heißt könnten – es wird so kommen.

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Sohn I wird am Montag 17, was auch heißt, dass er dann nächstes Jahr schon … also man staunt doch etwas.

Wir haben am Sonntagabend zur Vorbereitung auf den Geburtstagsmorgen die Party-Girlande mit den bunten Elefanten zum siebzehnten Mal aufgehängt. Nachdem wir sie zuvor noch einmal an etlichen Stellen geflickt haben, wie in jedem Jahr. Es kommt mir vor wie ein kleines Wunder, dass es sie überhaupt noch gibt, so ein fragiles, billiges Konstrukt. Am Ende ist sie ein Relikt, das wir unbedingt vererben müssen, ein Stück aus der besonders wichtigen Erinnerungskiste.

Aufbewahren für alle Zeit. Oder zumindest noch der nächsten Generation zeigen: So war das damals bei uns, so wurde dann immer dekoriert.

Eine Kindergeburtstagspartygirlande, bunte Elefanten aus Pappe

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Am Sonntagmorgen habe ich angefangen, die Tagebuchauszüge von Victor Klemperer beim Deutschlandfunk Kultur nachzuhören. Ich kenne sie aus den Büchern, aber nicht komplett, und eine Wiederholung etlicher Stellen schadet nicht in diesen Zeiten: „Unheimlich, schrittweise geht Deutschland zugrunde.“

Es ist keine einfache Übung und tendenziell stimmungsschädlich, diese Texte am Tag der Sachsen- und Thüringenwahl zu hören. Wie ich überhaupt viele Texte aus den 20ern, 30ern und 40ern gerade schwer verdaulich finde, mit den furchtbaren Zerrspiegelungen durch die Zeit. So auch beim Remarque am Sonnabend, es zieht sich durch.

Beim Klemperer erläutert ein Historiker zwischendurch die „elektorale Selbstgefährdung“ der Demokratie, die wir dann später am Tag in zwei Bundesländern live beobachten können. Es wird mir erneut alles zu passend zu meinem Medienkonsum gestaltet, etwas mehr Dezenz in der Realität wäre mir oft angenehm.

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Aber ich will es genau festhalten. Am Sonntag um 18 Uhr bin ich da, wo viele Gäste der Stadt in der Außengastro sitzen, ununterscheidbar werden auch Hamburgerinnen darunter sein. Eine typische Flanier- und Sitzmeile, eine Ausgehzone. Aperolszenen, dieser Drink ist in den letzten Jahren zum Sommerpflichtgetränk geworden. Auf jedem Tisch muss verbindlich etwas in Orange stehen. Der Sommerabend ist sonst vermutlich ungültig und kann als solcher weder gezählt noch erinnert werden. Bilder wie aus Kaltgetränkwerbeclips sehe ich um mich herum, Alkoholgenussinszenierungen im frühen Abendlicht. Die Stadt glüht noch nach.

Viele Menschen sind im Bild, das mag aber ein Zufall des Ausschnitts sein, die ausgesprochen lässig ausgestreckt sitzen. Sich fläzen nennt man es wohl und ich glaube, ich habe das Wort noch nie benutzt. Nachgeschlagen: „Sich unmanierlich entspannt hinlegen“, und ja, so sieht es aus. Wer gibt sich schon noch manierlich, wer kennt dieses Wort überhaupt noch, meine Hand will wieder nach dem Krückstock greifen und fuchteln. Aber ich habe das passende Fuchtelzubehör noch immer nicht routinemäßig bei mir, obwohl der Bedarf doch fortwährend spürbarer wird.

Es ist achtzehn Uhr, ich sehe auf mein Handy, die Wahlergebnisse aus Sachsen und Thüringen. In den Timelines sofort die ersten und fortgeschritten bitteren Kommentare. Ich sehe mich um und halte für die Chronik fest, dass die Nachrichten um mich herum in diesem Moment kein Schwein interessieren. Womit ich niemandem einen Vorwurf mache, ich beobachte nur und berichte von dem Ausschnitt, den ich sehe, wie immer. Ein wichtiges Fußballspiel hätte sicher deutlich mehr Menschen, zumindest mehr Männer, dazu gebracht, immer wieder auf das Handy zu sehen. Es ist, wie es ist, die Demokratie geht als Volkssport kaum durch.

Ein paar Meter oder einen Stadtteil weiter mag es aber anders aussehen und später am Tag gibt es auch prompt eine spontane Demo vor der Parteizentrale der Unsäglichen. Später am Tag werden die Politiknachrichten des Tages vermutlich auf vielen Sofas und Sesseln Thema sein. Nehme ich stark an.

Aber im ersten Moment – nichts. Nur die Balkendiagramme und die Kommentare auf meinem Handy, und die sind schlimm genug.

Blick auf die Hamburger Rathausarkaden an einem Sommernachmittag. Ein Stand-Up-Paddler auf der Kleinen Alster davor, von hinten aufgenommen, er trägt ein leuchtend grünes T-Shirt ud sitzt auf seinem Board.

Die Kleine Alster, die Rathausarkaden. Der Sommer wird durch Freizeitsport dargestellt.

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Sie können hier Geld in die virtuelle Version des Hutes werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch. Die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

4 Kommentare

  1. „Es ist ihnen egal“ NICHT.
    Ich möchte im Zusammenhang mit den erschütternden Wahlergebnissen auf den gleichnamigen Blogartikel der „Querfühlerin“ verweisen. Das erweitert das Sichtfeld auf das Problem.

    Aus „Mittendrin“
    Nelia

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