Ein Sohn ist also auf Klassenfahrt, wie gestern angerissen, das ist eine gute Gelegenheit für Eltern, sich einfach davonzumachen, den Pflichten des durchgetakteten Familien- und Berufsalltags zwischendurch zu entkommen. Das gilt sogar noch für Teenager-Eltern, haben wir uns gedacht, und es ist auch ein alter Brauch bei uns. Die Herzdame und ich haben also drei Tage Urlaub eingeplant, mittendrin im Alltag und außerhalb der Saison. Wir verdrücken uns für einige Tage an die Ostsee.
Wenn Sie sich die Landkarte von Deutschland bitte eben vorstellen, da oben, wo man Dänemark schon sehen und hören kann, wo man gerade Grenzen unbegreiflicherweise wieder dicht machen will, wo einem nicht mehr viele Städte einfallen und man den genauen Küstenverlauf vermutlich nicht mal eben aus dem Gedächtnis nachzeichnen könnte, denn es gibt da so Schlenker, dort fahren wir hin. Denn da kennen wir beide eher wenig, in der Gegend da, in Angeln, an der Schlei, zwischen Kappeln und Flensburg. So in etwa. Wenn Sie öfter in Blogs lesen, kennen Sie da einiges sicher von der Frischen Brise, sie ist da öfter und macht sehr schicke Fotos.
Der Wetterbericht wirft Kühle, Wind und Wetter aller Art für die nächsten Tage aus, etliches davon, viel Regen wird auch dabei sein. Mir ist das alles recht und angenehm, ich finde das erholsam nach den letzten Wochen mit der deutlichen Überdosis Sommer. Wind und Regen am Meer klingen für mich im Moment eher nach Rettung, keinesfalls aber nach Herausforderung.
Schwierig, ungewöhnlich schwierig ist für mich nur das Packen, und der Herzdame geht es ähnlich. Denn nach wie vor fehlt uns jede Vorstellung vom Frieren, vom Frösteln, von kalten Füßen, von textilkuscheliger Gemütlichkeit etc. Als habe unser Körpergedächtnis alle Herbste und Winter der letzten Jahre gelöscht. Wie war das denn bloß noch? Ich habe tatsächlich etwas Mühe, mir die richtige Herbstgarderobe vorzustellen. Monatelang habe ich keinen Pullover mehr angehabt, dermaßen gründlich raus war ich aus warmer Kleidung selten im Leben.
Aber egal, wir fahren mit dem Auto, da oben fahren eh keine Züge hin, wo wir hinwollen. Einfach alles in den Kofferraum hineinwerfen, was irgend in Betracht kommt. Das gilt dann auch für die Lektüre, einfach den Bestand auf einem Regalbrett komplett mitnehmen.
***
Nicole Seiferts Buch habe ich nun durchgelesen. Ich bin sehr zufrieden damit, eine dicke Empfehlung ist das, Sie wollen das auch lesen. Und bestimmt ist es auch gut für Literaturinteressierte zu Weihnachten. Jetzt an Schenken denken!
In meiner Antiquariatszeit, die mittlerweile etwa hundertfünfzig Jahre her sein muss, haben wir früh im Herbst ein altes Poster ins Schaufenster gehängt. Ein gemalter Weihnachtsmann mit streng erhobenem Zeigefinger und eben diesem Satz war darauf, jetzt ans Schenken denken. Rituale aus der Vergangenheit.
Aus dem Laden heraus haben wir dann beobachtet, wie die Leute stehenblieben, die Zeile lasen und lachten. Und weitergingen.
***
Die bisher verfügbaren Klemperer-Folgen hatte ich gerade sämtlich durchgehört, da wurden schon frische Folgen nachgelegt, es war just in time und wie bestellt von mir. In den neuen Episoden geht es um seinen letzten Lebensabschnitt in der DDR.
Ungemein bedrückend sind die gehörten Auszüge quer durch die Systeme, Zeiten und Staaten, wirklich schrecklich. Aber angemessen und richtig ist es doch, sich das alles noch einmal bewusst zu machen. So ist sie eben, unsere Geschichte, die unseres Landes und auch die unserer Familien. Kurz dann auch über die Bezüge meiner Sippe zur Geschichte nachgedacht. Aber nur einen Moment, man ist sonst schlagartig in Familienromandimensionen. Wer kennt es nicht, und wer hat schon die Zeit für so etwas.
Zumindest für mein Gefühl war das Hörerlebnis jedenfalls passend zur aktuellen Entwicklung. Und im öffentlichen Bücherschrank sehe ich auf meiner Morgenrunde eine alte Fischer-Taschenbuch-Ausgabe der Mutmaßungen über Jakob vom Johnson, gut abgegriffen und mit emsigen Kugelschreiberanmerkungen der altklugen Art. Das Buch passt hervorragend hinter Klemperers letzte Jahre, ich werde also an der Ostsee, auch das passt, noch einmal hineinsehen. „Aber Jakob ist immer quer über die Gleise gegangen“, es ist immer noch mein Lieblingsanfangssatz, nennenswert besser als „Ilsebill salzte nach.“
Ich lese das nach, das mit dem schönsten ersten Satz und dem Wettbewerb damals. Auf Platz zwei nach Grass war Kafka mit Gregor Samsa, das können wir alle auswendig, auf Platz drei war Siegfried Lenz: „Hamilkar Schaß, mein Großvater, ein Herrchen von, sagen wir mal, einundsiebzig Jahren, hatte sich gerade das Lesen beigebracht, als die Sache losging.“
Das ist aus der Geschichtensammlung „So zärtlich war Suleyken“, und jetzt raten Sie mal, was gleich neben dem Johnson im öffentlichen Bücherschrank stand.
„Hex, hex“, sagte der Autor kichernd.
Ich muss in den nächsten Tagen dringend all die Sommerbilder verbraten, bevor sie saisonal vollkommen falsch aussehen.
***
Sie können hier Geld in die virtuelle Version des Hutes werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch. Die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.
Bitte verbraten Sie, ich bin begeistert von Ihren Aufnahmen. Sie Glücklicher haben eben nicht nur ein Talent, sondern etliche. Schön, dass wir Leser daran teilhaben können.
Danke!
Eine schöne Urlaubsauszeit wünsche ich Ihnen beiden. Wir sind gestern in Wismar gelandet mit einem eintägigen Stopp in Hildesheim, was ich gar nicht kannte, aber jetzt sehr gern mag. Wir werden auf jeden Fall in Wismar auch die Fika-Kaffeebar besuchen, von der die Frische Brise immer schwärmt. Ansonsten ein bisschen Ostsee, ein bisschen Schwerin, etwas Lübeck, dann Soest und dann zurück nach BaWü. Große Freude hier, dass der Sommer vorbei ist. Kleidungsmäßig haben wir uns Layering eingestellt, d. h. dann stündlich eine Lage an- oder ausziehen.
Moin,
dann wünsche ich Ihnen eine gute Zeit hier oben bei uns und ich werde dann kommenden Samstag schauen, wie es in HH aussieht …in der Hoffnung, dass das Wetter besser sein wird, als es jetzt bei uns ist. Der Herbst ist da. Kalt und nass. So wie man es kennt. Bloß keine Gewöhnung mit Sonne, blauem Himmel und Wärme aufkommen lassen. Naja. Sie kennen das ja.
Hol di fuchtig und veel Spaaß!.