Weil das Leben ist doch hart genug

Neulich erwähnte ich, hier war es, die so früh geschlossenen Geschäfte im Hamburger Bahnhof Dammtor, darunter sogar der Kiosk mit den Presseprodukten. Es war vermutlich gegen 18 Uhr, je nach Betrachtung war es noch nicht einmal Abend. Im Grunde sah ich da eine fast komplett geschlossene Bahnhofshalle, nur die Systemgastronomie war noch geöffnet. Dazu war irgendwas mit dem Deckenlicht nicht in Ordnung, es war teils kaputt oder falsch geschaltet, was weiß ich. Es war jedenfalls deutlich zu dunkel im Bahnhof.

Dunkel und geschlossen, man kann es sich wieder als Bild abspeichern für die länger werdende Reihe „Zeichen des Niedergangs“, deren Symbole man allzu leicht übersieht. Weil sie einem schnell, viel zu schnell selbstverständlich vorkommen. Wegen unserer unfassbar leistungsstarken Anpassungsfähigkeit, die es uns so schwer macht, derartige Veränderungen ausreichend zu würdigen. Dabei sind sie gravierend und geschichtlich relevant.

Man muss zurückdenken, einige Jahre mindestens, vielleicht bis 2019, um sich wieder klarzumachen, was sich hier dreht und wie signifikant dieser Wandel ist. Im Sinne des Assoziationsdominos hier anzulegen ist der Hautbahnhof von München, wie ich ihn bei der Sommerreise beschrieben habe, an und in dem praktisch alles kaputt war, und das nicht nur baustellenbedingt.

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Abends vor dem Einschlafen lese ich gerade ein, zwei Texte von Adelheid Duvanel aus „Fern von hier“, mehr schaffe ich davon nicht. Kurze und intensive Erzähltexte sind das, die wie Gedichte zu lesen sind, meine ich zu verstehen. Man kann nicht alles gleich einsortieren, man kann vielleicht auch nicht alle Bilder deuten, es klingt etwas an oder nicht. Es bleibt manchmal etwas im Abgang, tatsächlich wie bei Gedichten.

Das Buch "Fern von vier", Adelheid Duvanel, btb-Taschenbuchausgabe

Den Uwe Johnson, die Mutmaßungen über Jakob, habe ich allerdings in der Mitte abgebrochen und dann zurück in den öffentlichen Bücherschrank gebracht. Natürlich in den anderen der beiden Schränke um die Ecke, also in den, aus dem ich das Buch nicht habe. Immer für weiteren Umlauf sorgen! Ich glaube, es war nun mein vierter oder fünfter Versuch, dieses Werk bis zum Ende zu lesen. Aber es gibt eben Bücher, in die kommt man immer wieder gut rein, doch nie ganz durch. Mit Wolfgang Koeppen geht es mir ähnlich. Und es macht auch nichts, vielleicht habe ich im nächsten Sommer wieder Lust, noch einmal zu beginnen, die sich jährlich erneuernde Lust der ersten Seiten.

Jeder sportliche Ehrgeiz bei diesem Thema geht mir ab, ich bin längst bei einer tiefenentspannten Lesegrundhaltung angekommen. Weil das Leben ist doch hart genug, wie es bei Extrabreit damals vollkommen zu Recht hieß, und da wussten sie noch gar nichts von unserer Zeit.

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Ansonsten sah ich in den Timelines am Freitagmorgen der letzten Woche die ersten kapitulierenden Heizungsmeldungen. Im Supermarkt lag nun auch bei uns das erste Produkt mit Weihnachtsmannaufdruck und im Discounter wurde das übliche Saisonsonderwarenregal aufgebaut. Zucker, gestern wurde es gemeldet, wird passend wieder billiger, deutlich sogar.

Auf den Wegen in Hamburg mischten sich in den letzten Tagen bei teils überschaubaren sechzehn Grad die Menschen in T-Shirts und kurzen Hosen unter die Menschen in Winterjacken, mit Mützen und Schals. Beide Parteien sahen sich gelegentlich etwas entgeistert an, wenn sie nebeneinander an den Ampeln standen, denn die Temperaturempfindungen fallen beim Menschen krass weit auseinander. Ich hielt mich etwa in der Mitte, für mich war bestes Pulloverwetter.

Alle Pullover habe ich dermaßen lange nicht getragen, es ist ausgesprochen nett, sie nach und nach wiederzusehen. Alte, textile Kameraden. Wenn man sich darüber freut, was man vor Jahren einmal gekauft hat, es ist ein so billiges, einfaches Vergnügen.

In unserem Haus steht noch die Restwärme aus dem August. Heizen müssen wir hier nicht, und das kann noch zwei, drei Wochen dauern. Mit etwas Glück sogar länger, denn der Wetterbericht wirft noch einmal die 25 Grad für die nächsten Tage aus. Es ist mit den Jahreszeiten wie mit den Toten in den Gruselfilmen– manchmal kommen sie wieder.

reife Äpfel, rotgrün, an einem Baum, Regentropfen darauf, aber das Licht ist sonnig

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Im Bild hier unten das Riesenrad auf dem Hamburger Dom. Der längst vorbei ist, ich schiebe noch etliche verschleppte Bilder vor mir her. Demnächst wird schon wieder Winterdom sein, nehme ich an. Ich werde vom Veranstaltungskalender der Stadt überrundet, so sieht es aus.

Das obere rechte Viertel des Riesenrads auf dem Hambuger Dom

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3 Kommentare

  1. Das Buddenbohm-Blog wird vielleicht als Archiv der „Zeichen des Niedergangs“ in die Literaturgeschichte eingehen.

    Mir wird tatsächlich durchs Mitlesen hier Vieles um mich her erst so richtig bewusst. Ich schärfe meinen Blick, erkenne dabei, dass es eben nicht nur meine Wahrnehmung ist, sondern andere Ähnliches beobachten.

    Ich vergleiche dabei auch die Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz, wo ich lebe und erkenne, dass die Schweiz in manchem Deutschland hinterherhinkt … (was ja in Sachen Niedergang nicht nur schlecht ist).

    Wohin wir wohl unterwegs sind? Manchmal gruselt mir …

  2. Bei aller Zustimmung zu solchen Wahrnehmungen* von Niedergang und Verfall frage ich mich, welche davon altersbedingt entstehen, weil der eigene Niedergang und Verfall die Sicht auf die Welt beeinflussen. War es nicht schon immer so, dass Menschen im Alter ungnädig und pessimistisch wurden und alles über den eigenen Kamm scherten, während das Umfeld einfach nur den ständigen Wandel mit all seinen – natürlich auch immer mal unschönen – Effekten bemerkte? Wie wurden früher Renovierungen in Bahnhöfen in München kommentiert? Weiß jemand, ob seinerzeit krückstockgefuchtelt wurde, als die Läden im Bahnhof Dammtor „neuerdings“ auch sonntags öffneten?

    (Eigentlich eine Frage für Psychologie und Medizin, dort dann die Gerontologiehistoriker. Gibt’s bestimmt, oder? Es gibt ja auch Medizinhistoriker.)

    *Bevor nun Seniorenbashing vermutet wird: Bin ziemlich genauso alt wie der Hausherr und erlebe die von mir vermuteten Effekte bei mir selber – ich stülpe meine immer reduziertere Perspektive („wenn’s für läuft, noch zwei Jahrzehnte“) der Welt über. Den ernstzunehmenden und begründeten Pessimismus angesichts von Zustand und Entwicklung der Welt im 21. Jahrhundert teile ich durchaus (wurde deshalb schon „Doomer“ genannt) – allerdings gibt es da eben auch einen sehr starken persönlichen Filter.

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