Den Kempowski, „Alles umsonst“, habe ich nun komplett durchgehört. Bis zum bitteren Ende, wie man in diesem Fall routinemäßig sagen muss, und wie es bei Geschichten über Ostpreußen und das Kriegsende 1945 naheliegend ist. Irgendeinen der Soldaten, die da im Roman eher beiläufig vorkommen und am Rande der großen Flucht agieren, hätte ich mir nebenbei und passend als meinen Großvater denken können. Der aus jener Gegend nicht zurückkam und bei Pillau liegt, heute Baltisk, nach wie vor russisches Gebiet. Einen intensiven Bezug zu diesem Thema habe ich allerdings nie entwickeln können, zu spärlich waren die Berichte und Überlieferungen.
Wie es bei Büchern über die extremen Zeiten unserer Geschichte ebenfalls naheliegend ist, wundert man sich hinterher eine Weile etwas mehr, was in den Nachrichten gerade alles als Krise bezeichnet wird. Mitten im Frieden und Wohlleben. Das sind allerdings Gedanken, die niemanden nützen, und alles Relativieren führt uns eh zu nichts, ich weiß. Es kann kaum sinnstiftend sein, den Alltag von Extremen aus zu bewerten.
Nur ein, zwei Tage lang denkt man die Eckpunkte der Geschichte unwillkürlich wieder mit und möchte beim Lesen der News immer murmeln: „Das sind gar keine Krisen. Das sind höchstens Befindlichkeiten.“ Aber diese Wertung steht mir auch vom Alter her gar nicht zu.
Ansonsten im Theater gewesen, unsere Saisoneröffnung. Wobei ich dieses Wort nur verwende, um mich selbst zu weiteren Besuchen zu motivieren. Ich bin im Alltag nachlässig und starren Routinen und Bequemlichkeiten verfallen. Wie es wohl den meisten geht, daher komme ich zu selten zu besonderen Abendterminen. Dabei habe ich große Theater so dicht vor der Tür, wie es nur denkbar ist. Um die Ecke im wahrsten Sinne.
Die Herzdame und ich gingen diesmal ins Ohnsorg-Theater neben dem Hauptbahnhof, wo auf der kleinen Studiobühne (auf der auch einmal Sohn I gestanden hat, wie wir dort immer murmeln müssen) eine Inszenierung von „Altes Land“ als intensives Drei-Frauen-Stück gegeben wurde. Eine erzählte und gespielte Umsetzung des Romans von Dörte Hansen mit nur einem Mann als Nebenfigur (Kerstin Hilbig, Ruth Marie Kröger, Kristina Nadj, Florian Miro, Regie Julia Bardosch).
Es wirkte dann zwar so, aber es war keineswegs geplant, dass der Abend wie ein weiteres Puzzlestück zum Kempowski passte. In dem einen Roman die Flucht aus Ostpreußen, im anderen die Ankunft der Geflüchteten in der Nähe von Hamburg und der schwierige Neuanfang. Weil Flüchtlinge bekanntlich nicht einmal dann willkommen sind, wenn sie aus dem eigenen Land kommen.
Beeindruckend war es für mich, diese beiden Inhalte direkt nebeneinander, eine etwas seltsame und allzu direkte Fügung in meinem Kulturmenü. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn sogar die Namen der Figuren noch gepasst hätten, wenn es nahtlose Übergänge gegeben hätte.
Um im Kontext zu bleiben, könnte ich jetzt noch das Heimatmuseum nach Siegfried Lenz im Altonaer Theater in Betracht ziehen. Das läuft demnächst an, und ja, ich glaube, so wird es kommen.
„Altes Land“ läuft im Ohnsorg nur noch bis zum 29. September, das wird ein etwas sportliches Timing sein, falls Sie da noch Interesse haben. Uns hat der Abend jedenfalls gefallen. Es war Theater mit geringen Mitteln der Requisite und Kulisse, ich habe auch dafür eine Schwäche. Wenn einige wenige Gegenstände durch das Spiel aufgeladen werden, gewissermaßen das Gegenstück zur Wortmagie im Bereich der Dinge, es passt schon.
Ab Mai 2025 wird das Stück aber noch einmal gegeben, und dann auf der großen Bühne, vielleicht etwas zum Vormerken für Sie.
Umsetzungen von Romanen sehe ich mir besonders gerne im Theater an, siehe auch Literaturverfilmungen, die sind oft interessant für mich. Im Ohnsorg-Theater wird es im nächsten Frühjahr die Buddenbrooks geben, habe ich dort gesehen. Das dann also auch mitnehmen, versteht sich. Da kann man schon weit voraus denken, und ich werde dann nach Möglichkeit berichten.
Ich: „Hast du die Buddenbrooks eigentlich je gelesen?“
Die Herzdame: „Du hast damals mehrfach versucht, sie mir vorzulesen, aber ich bin immer eingeschlafen.“
Vielleicht bis zum Mai noch einen Versuch machen? Abends im Bett je ein paar Seiten, an den langen Winterabenden? Oder, um den Dichter Bernd Begemann zu zitieren: Gib mir eine zwölfte Chance.
Auf den Bildern heute das Ohnsorg-Theater im Bieberhaus, das Heidi-Kabel-Porträtgemälde zu ihrem 70. Geburtstag auf dem oberen Theaterflur, der Treppenaufgang zur Studiobühne.
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Spielt das Ohnsorgtheater eigentlich noch auf Plattdütsch?
Ja, die Stücke haben unterschiedliche Anteile Platt, man hat die Wahl.