Weiter Klaus Manns Wendepunkt gehört. Gestern war ein unfassbar passender Tag dafür, wie ich nebenbei beim Lesen der Schlagzeilen mitbekam. Allerdings, so viel Pessimismus muss sein, wird in absehbarer Zeit so ziemlich jeder Tag ein guter Tag sein, um erneut nachzuforschen, wie es in der Vergangenheit mit dem Faschismus war. Wie man damit umging oder daran einging. In diesem und auch in anderen Ländern, etwa in den benachbarten, von wegen tu felix etc. Nein, man möchte eigentlich nicht darüber nachdenken.
Vor allem zwei Aspekte erschienen mir bei den gestern gehörten Kapiteln erwähnenswert. Zum einen die Passagen, in denen ausführlich von den Zeitungen erzählt wird, Medien würden wir heute sagen, die vor 1933 in unfassbar suizidaler Freundlichkeit interessiert um die immer stärker werdenden Nazis herumschwänzelten. Sie sind in einer Weise auf die Gegenwart übertragbar, diese Passagen, dass einem spontan übel wird. Man möchte sich ins Straßenbegleitgrün erbrechen, noch während man es zur Kenntnis nimmt. Also im Falle eines Hörbuchs beim Spaziergang jedenfalls.
Die Parallelen fallen nicht nach und nach auf, die Parallelen schreien einen an. Wüsste Klaus Mann um unsere Talkshows, mit ihren so zuverlässig und konziliant empfangenen rechtsextremen Gästen, es wäre sicher vorbei mit seiner ewigen Ruhe. An die er allerdings kaum geglaubt haben dürfte.
Zum anderen sind seine meist wohlwollenden Beschreibungen der Dichterinnen und Dichter im Exil unbedingt empfehlenswert für alle, die sich auch nur ansatzweise für die deutschsprachige Literatur jener Zeit interessieren.
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Wo ich gestern gerade die protestantische Arbeitsethik im Text erwähnte – ist Ihnen auch aufgefallen, dass selbst im Statement der soeben ausgetretenen Prominenz bei der Grünen Jugend das Wort „Arbeit“ noch vollkommen selbstverständlich von dem Wort „hart“ begleitet wird? Ganze Essays könnte man über die Wortwahl in diesem Kontext schreiben, so interessant und aussagefähig finde ich das. Wobei es mir nicht um politische Kritik geht, nur um die Soziologie des Alltags und der Sprache.
„Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen.“ Was für ein außerordentlich langlebiges Statement der Herr Luther da übersetzt hat.
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Die Herzdame und ich waren, um doch noch etwas unsere hart erarbeiteten 20 Jahre zu feiern, in der Mirou Mezze Bar am Hallerplatz. Dort serviert man israelisches Essen, und es war sehr gut. Wir konnten uns gar nicht erinnern, wann wir in einem Restaurant zuletzt so fein gegessen haben. Wir gehen aber nicht oft aus, wir sind da also kein Maßstab, meinen nur ohne viel Feldforschung herum und genießen einfach so.
Da jedenfalls ruhig mal hingehen, unserer Meinung nach.
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Zur Strafe für meine ausgeprägte Sehnsucht nach dem Herbst hatte ich gestern einen mehrstündigen Outdoortermin bei Regen, Kälte und Wind. Es erschien mir nur fair, ich konnte das weitgehend einsehen und machte also willig mit. Ich hatte nur etwas Mühe, überhaupt geeignete Kleidung dafür zu finden.
Ein Arbeitseinsatz im Brotberuf war es, zur Abwechslung für etwas Gemeinnütziges. Wir waren zur Ernte und für andere harte Arbeiten auf der Streuobstwiese Appelwisch, die ich noch nicht kannte. Die man aber durchaus kennen kann, es ist ungemein beeindruckend dort. Bei der Gelegenheit bin ich auch zum ersten Mal an der S-Bahn-Station Wellingsbüttel ausgestiegen, denn es gibt auch beim Hamburger Nahverkehr immer noch Premieren für mich. Das könnte man sich nebenbei vornehmen, überall einmal ausgestiegen zu sein, eine verlockende Projektidee. Also falls man noch nicht genug Nebenbei im Leben hat.
Über zwei Hektar Streuobst wie früher gibt es dort jedenfalls, der Begriff Wiese ist bescheiden gewählt. Etwa 10.000 Arten wimmeln darauf, wie der Fachmann vor Ort uns sagte. Man hat etwas Mühe, es sich vorzustellen, denn man sieht keine davon auf den ersten Blick. Abgesehen von der Art Apfelbaum, die man auch als Laie sicher definieren kann. Für den Rest braucht man Geduld und sieht dann vielleicht zumindest die Kröten im nassen Gras. Und das ist auch schon etwas, was man als Hamburger aus der Stadtmitte nicht jeden Tag sieht.
Für den Freundeskreis Phänologischer Kalender wird es noch von Interesse sein, dass in diesem Jahr bezogen auf die Äpfel alles etwa zwei Wochen früher war, wie uns bestätigt wurde. Also verglichen mit einer nicht näher definierten Vergangenheit, mit einer früheren Normalität. Blüte, Frucht etc. – alles deutlich nach vorne verlagert.
Und niemand, das fand ich auch interessant, kann dort alle Apfelsorten benennen.
Ein abschließender Hinweis noch für dieses Wochenende: Die Norddeutschen Apfeltage im Loki-Schmidt-Garten. Wo ich auch noch nie war. Schlimm.
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Oh, im Mirou waren wir neulich auch.
Wirklich sehr lecker und durchaus zu empfehlen! Wer es etwas klassischer mag, mag auch das Restaurant von ihnen in Eppendorf besuchen, größere Portionen, klassischere Menüfolge, aber ebenso lecker!
Daheim verpasse ich eine sehr kurzfristig angesetzte Apfelaktion, mit großem Bedauern. Sehe Ihren Einsatz in Hamburg daher als trans-internetale Stellvertretung.
Auch von mir könnte das Straßenbegleitgrün gespeist werden, wenn ich an die Rolle der Medien denke, die auf der Jagd nach Quote diesen heutigen Faschisten halfen, gesellschaftsfähig zu werden. Durch stetige Präsenz wurden peu a peu Berührungsängste abgebaut.
Und wenn gleichzeitig sehr viel aufhetzende Polemik gegenüber den Regierenden täglich die Titel bestimmt statt sachlicher Aufklärung, dürfen wir uns nicht wundern, wohin in die Reise geht.
Die Talkshow …sind nicht so mein Ding. Aber kann man wirklich sagen, dass AfD-Wähler*innen über Talkshow-Auftritte erzeugt/gefestigt werden? Das zweifele ich eher an. Vielmehr dürfte doch eher eine hohe Übereinstimmung der Cluster „Nicht-AfD-Wähler“ zu ÖR vs. „AfD-Wähler“ zu „alle möglichen anderen Medien“ bestehen.
Interessant dazu aber auch der bei croco verlinkte Böhmermann-Clip zu kostenlosen Werbezeitungen in Thüringen und Sachsen und deren AfD-Produktionen (https://www.tiktok.com/@simone_positivdenken/video/7417894395363527968?_r=1&_t=8q2fjeiVVGz).
Und ist Ihnen mal aufgefallen, dass Leute nach Jahrzehnten „harter Arbeit“ immer in den „wohlverdienten Ruhestand“ gehen? Da gibt es auch kein anderes Adjektiv.