Es ist Erntedank, sagt die Kalender-App, und sie wird es immerhin wissen. Ich verbinde wenig mit dem Datum, es hat keine Tradition in meiner Familie, weder in meiner Kindheit noch in der der Söhne. Ich lese routinemäßig und stets bemüht weiterbildungswillig etwas zum Fest nach und sehe, dass die beiden großen christlichen Kirchen den Feiertag nicht immer am gleichen Tag begehen. Da ist eine Woche Abstand, das habe ich nicht gewusst. In diesem Jahr feiern sie beide heute, Terminzauberei.
An den freien Tagen auf dem Land ist mir kein Hinweis auf Erntedank aufgefallen, nirgendwo, und ich bin mir nicht sicher, ob das früher nicht anders war. Wobei dieses Früher nicht allzu lange her ist. Aber wie immer – je länger ich darüber nachdenke, desto unsicherer werde ich. Wer kann schon seinen Erinnerungen trauen.
Für die Ernte im eigenen Garten, ich notierte es bereits, können wir uns schnell und wie nebenbei bedanken, es gab fast nichts. Das kann man als Gärtnerin so abtun und auf bessere Jahre hoffen. Auf wieder ertragreichere Sommer mit etwas mehr als drei Heidelbeeren, mit vielleicht wenigstens einem Kürbis und nach Möglichkeit ohne sterbende Obstbäume.
Da ist im weiteren Herbstverlauf noch etwas zu ersetzen, fällt mir dabei ein. „Pflichtgemäß Pflaume pflanzen“ muss ich in den Kalender mit den To-Dos übertragen.
Am Sonnabendmorgen fuhr ich auf dem Dorf in Nordostwestfalen mit dem Auto zum Brötchenholen. Zu Fuß wäre ich stundenlang unterwegs gewesen, die Option fiel also flach, selbst für einigermaßen leidenschaftliche Fußgänger wie mich. Ich fuhr los, sobald der Laden aufmachte, im Nebel ruhte da noch die Welt. Und diese halbe Stunde, in der ich da unterwegs war … ich weiß nicht recht, ob ich überhaupt schon einmal durch weißes, wolkiges Wabern derart wenig Sicht hatte. Es war beeindruckend, und es war auch etwas erleichternd, dass mir kaum anderen Autos oder größere Wildtiere begegneten.
Eine traumschöne Fahrt durch eine erheblich veränderte Welt war es, durch ein Herbstmorgenbilderbuch. Es war nur, wie der Kunde vor mir beim Bäcker fröstelnd zur Verkäuferin sagte, „etwas frisch am Ärmel.“ Drei Grad, es fiel in der Tat überschaubar aus. Ich war wieder nicht passend angezogen dafür, das Problem verfolgt mich in diesem Herbst offensichtlich. Zitternd und klappernd am Steuer gesessen und auf die Heizung gehofft, ein weiteres erstes Mal in der Saison.
Ich habe dann gleich nach dem Familienfrühstück noch eilig versucht, ein wenig von der schnell schwindenden Stimmung draußen einzufangen. Da stieg der Nebel aber schon und Wald und Wiesen träumten bereits nicht mehr, rührten sich schon etwas, belebten sich bereits.
Aber sonst … der Ausblick über die teils abgeräumten Äcker war noch recht dicht am ollen Mörike. Diese zwei, drei Stunden waren so nah an seinem Septembermorgen, wie sie nur sein konnten, wenn es auch schon Oktober war:
„Im Nebel ruhet noch die Welt,
Noch träumen Wald und Wiesen:
Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
Den blauen Himmel unverstellt,
Herbstkräftig die gedämpfte Welt
In warmem Golde fließen.“
1827 schrieb er das. Es kommt in der richtigen Gegend und zur richtigen Stunde also immer noch hin, wie dann der Rest des Vormittages auch in aller Klarheit bewies. Fallende Schleier, blauer Himmel unverstellt, warmes Gold und alles, die volle Punktzahl wurde einwandfrei erreicht.
Für die Mitglieder des Freundeskreises deutsche Naturlyrik ist so etwas eine Art Hauptgewinn, und so oft gibt es den gar nicht.
***
Lebensbejahende Musik habe ich beim Spaziergang durch diese Nebelwelt gehört, denn es gibt ein neues Album von Dan Reeder.
And when I die
don’t bury me
just drop my tombstone right on top of me
with my arms and legs sticking out
like that cartoon we’ve all seen
and make it say
he took on this hopeless world.
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Wunderschöne Aufnahmen, die mich allerdings sofort frösteln ließen: die Macht der Bilder!
Wenn es ein Fest gibt in unserem seltsamen westlichen Feiertagskalender, das ich verstehe, dem ich Sinnhaftigkeit zuschreibe auch jenseits von Konsumismus, in das ich mich einfühlen kann, das Fridays for Future und die Kirche zusammenbringen kann – dann ist es Erntedank. Ein von Menschen, bei denen das Gemüse aus dem Supermarkt kommt, grob unterschätzter Feiertag.
Mir wird gerade bewusst, dass wir daran in den letzten Jahren immer durch den Kindergarten gedacht haben – da sollte man etwas aus dem eigenen Garten mitbringen, was bei uns fast nur noch rote Beete war (die geht immer). Nun gibts hier seit diesem Jahr drei Schulkinder und damit erinnert wohl niemand mehr daran …. schade, eigentlich …