Eine Ergänzung zu den gestern erwähnten Cosplayern in der Stadt ist noch nachzureichen.
Eine Konstellation, die mir im Bahnhof auffiel, war eine wiederholte Dreifachkombination. Nämlich weiblicher Teenager im betont fantastischem Outfit, drei Schritte dahinter die begleitenden Eltern in dem, was Eltern eben tragen. Und was dann neben dem Kostüm etwa einer Mangaprinzessin deutlich abfällt. Aus Sicht der Tochter vielleicht auch schmerzlich abfällt, und also etwas grauer als ohnehin wirkt, etwas banaler, durchschnittlicher oder vielleicht auch provinzieller. Je nachdem, wo die Familie herkommt.
Die Mangaprinzessin ist in einer fremden, gruselig großen Stadt und sie will zu einer riesigen Veranstaltung an unbekanntem Ort. Da geht man als Elternpaar eben mit und eskortiert routinemäßig. Mit einem vielleicht ein wenig auffällig duldsamen Gesichtsausdruck, den man als Beobachter zu erkennen meint, wenn man selbst Kinder hat.
Das ist alles nichts, was man nicht nachvollziehen könnte. Andere eskortieren ihre Töchter und Söhne zum Fußball, zum Ballett oder zum ersten Konzert in einem Stadion. Irgendwas ist es immer, es ist normal.
Aber wie sehr der Nachwuchs in diesen aktuellen Fällen, die ich da im Bahnhof vor mir sehe, nach einem absurden Kuckuckskind aussieht, das irgendwie ins Nest geschmuggelt worden sein muss. Wie fremd und unpassend das erscheint, was die beiden da großgezogen haben, und wie überaus unwahrscheinlich es wirkt, dass sie dergleichen jahrelang unter ihren Fittichen hatten, um im biologischen Bild zu bleiben.
Es wird durch die drastische Überzeichnung der Fantasy-Kostüme so deutlich, was doch bei allen Familien vorkommen kann, welche ungeahnten Wege nämlich die nächste Generation nehmen kann. Ich nehme an, wir sind auch darin einzigartig unter den Tieren, dass unsere Kinder sich aus purer Lust und willkürlicher Entscheidung für ein fremdartiges Gefieder entscheiden können. Für ein frisch ausgedacht wirkendes Balzverhalten auch, sowie für etliche andere Verhaltensweisen, die im Nest der Eltern gar nicht vorkamen. Die neu in der Welt sind, wo auch immer sie auf einmal herkamen.
Während die Küken der Amsel auch in diesem Jahr das im Stammbaum sattsam bekannte Schwarz der Federn bevorzugen, wieder die gleiche Art Würmer essen, wieder das Nest genau wie immer bauen, in gleicher Bauweise, auf gleicher Höhe, mit der gleichen Polsterung. Eine Endlosschleife, ein überaus sinniger Loop mit Jahrhundertbewährung und daher aufwendiger Qualitätskontrolle.
Nur wir brauchen für jede Generation brandneuen Code und schreiben ihn auch noch hektisch weiter, während alles schon live ist. Kaum haben wir Zeit, die zahlreichen Fehlermeldungen zu registrieren, geschweige denn zu verarbeiten. Es klingt ein wenig anstrengend und herausfordernd, klingt es nicht?
Und so fühlt es sich dann auch an.
Der Vater einer dieser Mangaprinzessinnen deutet auf die vielen Schilder zu den diversen U-Bahnen und weist nach etwas Überlegung mit dem Daumen nach links. Die Mutter schüttelt den Kopf und weist energisch zeigefingernd nach rechts. Die Tochter sieht sie beide an, rollt die drastisch geschminkten Augen und prüft dann erst einmal auf dem Smartphone, was richtig ist.
Es gibt auch einige verlässliche Programme, das immerhin.
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Ansonsten war es ein verregneter Sonntag wie lange nicht, es begann die Saison der Hamburger Passagenspaziergänge. Ich komme auf meinen Wegen halbwegs trocken durch die Stadt, durch den Hauptbahnhof, durch die anderen großen Stationen und die Einkaufspaläste.
Es ist an solchen Tagen nur deutlich schwerer, mir zusagende Fotomotive zu finden. Aber es ist auch nicht vollkommen unmöglich.
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Wundervoll, der Cosplay-Teil des Beitrags, ist er nicht?
Von innen, von den Teilnehmern solcher Veranstaltungen, kommt da durchaus öfters ein „boah, hast du tolle Eltern“, wenn sie das Küken hingefahren haben.
Sofort wieder Erinnerung an meinen kleinen Bruder, der als Teenager in einer Speed-Punk-Band Schlagzeug spielte. Zu den Konzerten wurden er und die anderen Band-Mitglieder samt Equipment von ihren Eltern in den ortsüblichen Audi-Jahreswagen gefahren. Und während des Konzerts, in dem auf der Bühne ungeheurer Lärm erzeugt und Liedtexte mit viel „HAAAAATE“ und „BLOOOD“ gebrüllt wurden, standen die Eltern irgendwo ganz hinten und hatten genauso viel Plüsch um die Augen wie damals, als die Kleinen ihren ersten Blockflöten-Auftritt beim Jahreskonzert der Städtischen Sing- und Musikschule hatten. Unvergesslich.