Müde Hunde und versenkte Fahrräder

Gehört: Ein Zeitzeichen über Oscar Wilde.

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In Hammerbrook gibt es Kunst an der S-Bahn. Urban Art an den Säulen bei der Station, ich sehe das Projekt auf dem Weg ins Büro (hier ein erhellender Artikel darüber, hier noch einer). Ich habe die neu gestalteten Säulen schon in der letzten Woche gesehen, aber sicherheitshalber erst einmal nicht fotografiert. Um ausschließen zu können, dass es am Ende nur Werbung für eine neue Limo, ein chinesisches Auto oder ein weiteres Smartphone ist. Denn dann hätte es mir nicht gefallen, was da zu sehen ist. Wie bunt auch immer es ausfällt, dann hätte es mir kaum gefallen dürfen.

Eine bunt mit dem Wort Dreams bemalte Säule unter der S-Bahn in Hammerbrook

Jetzt aber, wo ich weiß, dass es keine Werbung ist, könnte es mir immerhin gefallen. Jetzt lasse ich das vorsichtig zu und könnte darüber nachdenken, quasi die Eröffnung einer Möglichkeit. Was vermutlich nebenbei interessant für das Kunstverständnis an sich ist. Aber Urban Art muss bei mir ohnehin erst eine Weile einwirken. Ich finde diese Arbeiten selten spontan schön oder gut, oft auf den ersten Blick eher störend. Manchmal nach Wochen des Vorbeigehens dann doch okay oder im besten Fall sympathisch. Wenn sie erst dazugehören und Teil der Stadt, der Spaziergangsroutinen und Alltagsausblicke geworden sind. Heimataspekte und Zuhausezubehör im Reviersinne.

Dass einem die so farbigen DREAMS aber von einem müden Hund auf der ersten Morgenrunde achtlos angepinkelt werden, nun, es ist eben Hammerbrook. Es passt schon. Es passt sogar sehr gut.

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Ein weiterer besonders wilder Tag ist der Mittwoch ansonsten und selbst der Abendspaziergang wird noch mit Terminen, Aufgaben, Absprachen und ehelichen Debriefings verbunden. Es geht zu weit und soll sich so nicht fortsetzen, wenn es nach mir geht. Wonach allerdings wenig zu gehen scheint, wie ich mittlerweile einsehen muss.

An der Alster, nein, in der Alster eher, ich sehe es im allzu zügigen und zielorientierten Vorbeimarsch, liegt eine Installation, die schon darauf hinweist, dass wir in der zweiten Hälfte des Oktobers sind. Noch einmal durchdachte und sorgfältig ausgeführte Urban Art, die zeitig mahnt, dass wir alle haltlos in den November fallen werden, und wie bald schon.

Ein Fahrrad liegt am Ufer in der Alster

Die uns also verdeutlicht, dass Texte von Tom Waits und anderen Experten für Düsternis und Depressives bald in den nur gedachten Untertiteln mitlaufen dürfen, während wir uns die spätherbstliche Stadt beim abendlichen Gang ansehen.

Denn nicht nur in Berlin wird es dunkel und kalt, wie es der Herr Regener mit seiner Truppe so ansprechend und einprägsam besungen hat.

Ich habe gute Erinnerungen an dieses Lied, besonders gute, denn anlässlich der ersten Verse habe ich vor Jahren mit einem Sohn ein langes und für unsere bescheidenen Verhältnisse tiefsinniges Gespräch über Liedtexte und Lyrik überhaupt geführt. Was da alles geht, wie genau und mit welchem Zweck, ob sich diese Frage überhaupt stellt und warum nicht.

Weil der Anfang damals so einladend war, schon beim ersten Hören, diese einleitenden drei Zeilen:

Ich wäre gerne ein Gummibär
Da gibts die gelben und die roten
Das sind alles Vollidioten.

Ein Texteinstieg, mit dem man etwas anfangen kann, auch als Kind. Ist das Ernst, ist das Unsinn, was soll das, was macht das.

Aber ich schweife unkontrolliert ab, pardon.

Die Inszenierung in der Alster gemahnt selbstverständlich mit einiger Dringlichkeit nicht an Element of Crime, sondern an diese Textzeilen des anderen Großmeisters:

Somebody must have an orphanage for

All these things that nobody wants evermore.

Passend und very deep, dass ich ausgerechnet an diesem Tag nicht allein, sondern mit der Herzdame dort entlanggehe, das kommt bei uns sonst kaum vor. Aber es gilt eben:

Summer is gone, our love will remain

Like old broken bicycles out in the rain.

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4 Kommentare

  1. Spannend eure Spaziergänge – schafft ihr dir als Paar? Davon sind wir derzeit weit entfernt und zu oft reicht es nur, zur schnellen Terminklärung kurz vor dem Augen zuklappen ….

  2. Debriefing – vor wenigen Monaten zum ersten Mal im Arbeitszusammenhang gehört, seitdem allgegenwärtig. Faszinierend: Was qualifiziert ein Wort dazu, sich mit solch pandemischer Geschwindigkeit auszubreiten? Gibt es dazu Forschung?

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