Am Donnerstagmorgen ist es noch dunkel, als ich mir den ersten Kaffee mache. Herbstlich neblig ist es dazu, ich sehe es im Licht der Straßenlaternen. Es sieht da unten aus wie in alten Krimis, „Hier spricht Edgar Wallace.“ Und irgendwo um die Ecke schleicht schon der Kinski herum. Die Stadt schläft, kein Licht hinter irgendeinem Fenster ringsum. Ich habe diese Stunde wieder für mich, die wee small hour, die Schreibstunde.
Allerdings, ich sehe es dann einigermaßen fassungslos, als ich die Milch aus dem Kühlschrank hole, kreisen vor dem Haus drei riesige Lichter durch den schwarzen Nachthimmel neben dem Kirchturm, und spukhaft ist für diesen Anblick milde ausgedrückt. Wobei Science-Fiction noch besser als Spuk passt. Über unserem Haus kreisen oft Hubschrauber, es ist eben die Stadtmitte, die großen Demos, die fliegende Polizei. Aber die Hubschrauber machen verlässlich Geräusche, und wie sie die machen. Diese Lichter kreisen dagegen vollkommen lautlos. Was auch immer da fliegt, es ist zu tief. Und wenn es Drohnen sind, dann ist es ein ganzer Trupp davon, sie sind perfekt synchron im Flug, sie sind groß, was passiert da.
Würde man für Hollywood die Außerirdischen nachts landen lassen, es sähe so aus, und wäre ich Hauptdarsteller, die Milch fiele mir jetzt aus der Hand. Was bei einem Tetrapack allerdings nichts hermacht, lassen wir das.
Kein Zweifel jedenfalls, dieses Bild auf einer Kinoleinwand – exakt passend. Und was auch immer das da für ein Objekt vor dem Fenster sein mag, es ist entschieden zu dicht vor mir und auch zu dicht neben dem alten Kirchturm. Ich schlafe nicht, ich träume nicht, und die Lichter kreisen gemächlich. Am Ende ist es dann selbstverständlich ein gigantischer Baukran, nachts erst aufgebaut, dessen Monsterarm da zum frühen Arbeitsbeginn vorbei und durch den Dunst dreht, ein paar Häuser weiter. Langsam und majestätisch dreht der, mit drei großen Lichtern daran.
Ich weiß jetzt immerhin, dass ich bei einer allfälligen Alieninvasion nicht etwa geistreiche Schlusserkenntnisse haben werde, sondern vermutlich genau das denken werde, was mir in diesem Moment, die Milch noch in der Hand, spontan durch den Kopf ging: „Das jetzt also auch noch.“
Wie genervt von allem kann man sein.
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Am Nachmittag müsste ich eigentlich im Kontext des Brotberufs weiter mit Kolleginnen auf anderen Kontinenten über künstliche Intelligenz nachdenken, breche das aber zur Rettung der spärlichen Reste meiner menschlichen Intelligenz mittendrin und schon wie in Notwehr ab.
Ich klappe das Notebook entschlossen zu und gehe in die Innenstadt. In der Hauptkirche St. Jacobi gibt es wieder das kleine Donnerstagnachmittagskonzert, eine halbe Stunde wird uns etwas Bach auf der Barockorgel vorgespielt, und es ist wiederum schön und beruhigend. Es nimmt einen kurz aus dem Alltag, und wie angenehm ist das denn.
In der letzten Woche erst hatte ich mir vorgenommen, dort regelmäßig hinzugehen. Schon in dieser Woche bin ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ich sitze entsprechend stolz wie Bolle in der Kirchenbank, ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert.
Neben mir ein älterer Herr in gepflegter Lederkluft. Er geht mit dem Oberkörper wippend mit wie bei einem Rockkonzert und hört offensichtlich Rhythmen heraus, die ich nicht einmal wahrnehme. Das ist vermutlich auch schön, aber nicht jedem gegeben.
Die Schlussakkorde jedenfalls, besonders die betonten, kräftigen, wenn die Orgel noch einmal alles gibt und majestätisch aushallt, wenn die Töne danach einen Augenblick im Kirchenschiff über den Köpfen zu stehen scheinen – das sind mit die besten Hörerlebnisse der Woche, keine Frage. Sensationell ist so etwas, und zuhause mit keinem Audiogerät nachzuempfinden, wie perfekt auch immer man ausgerüstet ist.
Und in den leisen Momenten, wenn die Töne höher werden, immer feiner, dezenter – zwischendurch habe ich kurz gedacht, wenn mein Tinnitus etwas auf sich hielte, etwas kultivierter wäre, er könnte zumindest zwischendurch auch gut klingen.
Aber es ist, wie es ist, er pfeift nur lapidar. Man kann nicht alles haben.
Gerade habe ich beim Schreiben den Verdacht gehabt, dass auch andere schon über diese Verbindung nachgedacht haben müssen. Ich habe etwas nachgelesen – und guck:
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Was für ein morgendliches, außerirdisches Erlebnis …. Dannke für’s festhalten und -schreiben
Baumfällarbeiten mit großem Gerät im morgendlichen, stockdunklem Wald sorgen hier auch gelegentlich dafür, dass frau zu Tode erschrickt und sich sehr „Independence Day“-mäßig fühlt…
Den Tinnitus und überhaupt das ganze Stück von Smetana kann man hier wunderbar hören: https://www.youtube.com/watch?v=SCxHK_2lNmo (ca. bei 27:40)
Von Wallace über Kinski hin zu Lucas, Spielberg und Emmerich. Ein wirklich spannungsreicher Morgen 😉