Dämonen, Jacobi und Schubert

All die Tage jetzt, ich lag mit der Annahme der flächigen Ausbreitung im Kalender richtig, am Abend die Kostümierten zu Halloween im Hauptbahnhof und in den Bahnen. Mit einem Schwerpunkt am kalendarisch korrekten Abend, das dann doch.

Wobei ich „Kostümierte“ schrieb, das ist einzuschränken. Denn viel Aufwand wird nicht betrieben, zwei, drei Versatzstücke in Schwarz, ein weiß geschminktes Gesicht und etwas Theaterblut – darauf kann man sich mehrheitlich einigen, das ist es aber auch schon. Und viel ist das nicht, wenn man es kritisch betrachten möchte. Ein Minimalismuskarneval der novembrigen Art. Und es schadet auch den Rollen, wenn man als Wesen aus dem Reich des Bösen und der Nacht eine Schüssel mit Partysalat oder zwei Flaschen Prosecco achtsam vor sich herträgt, es mindert doch etwas die Wirkung.

Zwei Bemerknisse zu Halloween noch. Zum einen war es im kalten Licht der Wandelhalle im Bahnhof nicht nur einmal so, dass mir Menschen mit kalkweißen Gesichtern entgegenkamen, die ich schon mit „da, wieder welche“ geistig abhaken wollte, um dann im Näherkommen festzustellen, dass sie nicht geschminkt waren. Die sahen einfach so aus. Die gehörten so, da musste nicht erst Weiß aufgetragen werden. Es waren nur die Müdigkeit, die Mühen des Alltags, die Sorgen, die Pflichten und das kalte Licht der Läden. Im Grunde auch gruselig genug.

Zum anderen ging ich am Abend wieder an der Eisbahn in Planten un Blomen vorbei. Auf der es lebhaft zuging, viele kreisende Menschen auf Kufen, laute Musik. Und zwischen den erwachsenen Freizeitwintersportlern ein kleines, schwarzes, kaum auszumachendes Wesen mit weit wehendem dunklem Umhang. Schneller als manche der Großen, durch die langsamen Erwachsenen kurvend. Wie ein huschender, schattenartiger Dämon, der die Menge aus der Nacht heraus umspielte, so wirkte das kostümierte Kind auf dem Eis.

Dieses schwarzwehende Cape auf Wichtelhöhe in der bunten Menge, das hatte etwas. Mitten im Leben sind wir von unseren kleinen Dämonen umfangen.

Ein Fleet in der Hamburger Speicherstadt am Abend

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Heute ist Allerseelen, wieder ein besonderer Tag.

Ruh‘n in Frieden alle Seelen,

Die vollbracht ein banges Quälen,

Die vollendet süßen Traum,

Lebenssatt, geboren kaum,

Aus der Welt hinüber schieden

Alle Seelen ruh‘n in Frieden“

Das ist von Johann Georg Jacobi, aus dem Jahr 1776. Ich würde das Gedicht kaum kennen, wenn es nicht Franz Schubert vertont hätte. Der Herr Jacobi war bei seinen Dichterkollegen nicht gut angesehen, ich zitiere aus der Wikipedia:

Auch Goethe kritisierte Jacobis Gedichte und schrieb deren Erfolg v. a. seinen weiblichen Verehrern zu, die ein Gedicht schön finden „und denken dabei bloß an die Empfindungen, an die Worte, an die Verse. Dass aber die wahre Kraft und Wirkung eines Gedichts in der Situation, in den Motiven besteht, daran denkt niemand. Und aus diesem Grunde werden denn auch Tausende von Gedichten gemacht, wo das Motiv durchaus null ist, und die bloß durch Empfindungen und klingende Verse eine Art von Existenz vorspiegeln.

Wie modern diese Stelle mit der „null“ klingt, nicht wahr, wie aktuelle Jugendsprache. Davon abgesehen, und ob das Motiv im Gedicht nun null ist oder nicht, das Lied ist gut gealtert, immer noch hörenswert und die ersten beiden Zeilen kann man sich im Grunde jeden Abend vorsagen, wenn man noch so einen Tag absolviert hat:

„Ruh’n in Frieden alle Seelen, die vollbracht ein banges Quälen.“

Ich mag die Zeilen. Alle Strophen des Gedichtes, es wird nicht vollumfänglich gesungen, kann man hier nachlesen.

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Ein Kommentar

  1. Allerheiligen existiert in meinem Umfeld tatsächlich gar nicht und da es ein normaler Arbeitstag – allerhöchstens ein Brückentag ist – fühlt es sich auch nicht anders an …

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