Instagram benachrichtigt mich in strengem Tonfall, sie hätten ein Bild von mir „herabgestuft. “ Was für eine Wortwahl, warum nicht gleich deklassiert. Es werde meinen Followern nur noch angezeigt, heißt es, wenn sie länger scrollen. Es wird also in digitaler Übertragung gewissermaßen zur Bückware. Ein Grund für das etwas tantenhaft anmutende Verstecken des Bildes wird auch angegeben. Das Bild enthalte nämlich, und es fehlt nur der Hinweis, ich solle mich gefälligst schämen, Nacktheit oder sexuelle Handlungen.
Und damit ich mich nicht vor meinen eigenen, allzu expliziten Schundbildern erschrecke, oder vielleicht auch, damit ich nicht noch durch eigene Werke unnötig erregt werde, wird mir das schweinische corpus delicti in dieser Nachricht lediglich verpixelt angezeigt. Damit ich eine Ahnung bekomme, worum es gehen könnte.
Das Bild, ich sehe es mir genauer im Original auf meinem Smartphone an, zeigt das bekannt obszöne Hamburger Rathaus. Mit diesem phallischen Turm, der sich da aus der Mitte des Baus steil und geil nach oben reckt … ich sehe es gleich ein, es geht wirklich zu weit. Im Grunde ein starkes Stück, so etwas im öffentlichen Raum frei verfügbar zu machen. Neben dem Rathaus, als hätte es das noch gebraucht, die schwellenden, üppigen Rundungen der lasziv weißmarmornen Bögen der Alsterarkaden. Und zwischen dem strotzenden Rathaus und dem vielfach wogenden Busen der Säulengänge ergießt sich zu allem Überfluss die Kleine Alster ins Bild, als hätte es mehr Symbolik gebraucht.
Ebenfalls im Bild zwei Baukräne, die sich wie langfingrig auf die steinerne Erektion des Rathauses zubewegen. Dazu in der Mitte noch eine wehende Flagge in obszönem Lustrot, in sinnlicher Drehung windet sie sich im Wind. E-kel-haft, das alles.
Demnächst besser nur noch Flachbauten fotografieren. Oder Discounter von hinten, Tiefgaragen unter Einkaufszentren, neue Sachlichkeit, so etwas.
Man kann, sehe ich dann, über ein Formular melden, dass man da etwas anders sieht als die automatisierten Moralwächter bei Instagram. Dann muss man aber auch angeben, warum man da zu einer anderen Einschätzung kommt. Okay, denke ich mir. Alles abstreiten und dann mal sehen, wie weit man kommt. So gelingt immerhin vieles im Leben, und es ist auch eine ausgesprochen moderne Herangehensweise. Ich klicke also trotzig an, dass ich das Bild für regelkonform halte. Die Regeln werden mir kurz gezeigt, ich habe sie gar nicht gekannt oder bisher immer überlesen, in meiner geistigen Zügellosigkeit. Ich lese sie also nach, und immerhin sind bei mir keine Nippel abgebildet, denke ich. Damit komme ich vielleicht durch.
Jetzt brauche ich noch einen Grund für meinen Protest. Es werden etliche Möglichkeiten aufgelistet, die alle nicht recht zutreffen. Ich wähle schließlich: „Das Bild ist in meiner Region nicht anstößig.“ Aber wie weit diese Region wohl reicht? Weiß ich wirklich, was in Mecklenburg oder Bremen als anstößig gilt? Ich kenne kaum Menschen aus Bremen, wenn ich es mir genau überlege.
Zweifelnd schicke ich das Formular ab und stelle mir vor, wie irgendwo auf der Welt ein moderierender Mensch sich mein Bild eine halbe Sekunde ansieht und es dann routiniert freischaltet, was auch ziemlich schnell so passiert. Ich nehme weiter an, dass er dabei etwas freischaltet, was eine sogenannte AI vorher gesperrt hat, was mir nicht für das I in ihrer Bezeichnung zu sprechen scheint.
Das ist jetzt auch ein Job, und vermutlich kein allzu schöner: Auf denkbar geringem Niveau in Vollzeit intelligenter als eine Software zu sein. Ich vermute, es wird nicht wenig von diesen Jobs geben, jetzt schon oder in der nächsten Zeit, bevor auch die später einer weiteren AI-Ausbau-Stufe zum Opfer fallen werden.
Man kann sich diese Jobs kaum gut oder halbwegs fair bezahlt vorstellen. Das AI-Korrektorat wird Bezüge zum weltweiten Prekariat haben und gute Geschichten kann ich mir um Zusammenhang mit diesem Thema nicht vorstellen. Eher die Wiederholung von seit der Industrialisierung bekannten, recht üblen Geschichten aus der Arbeitswelt.
Aber wie auch immer. Das Bild wird nun nicht mehr herabgestuft. Läuft alles bei mir, das nehme ich nun als Motto mit in eine weitere übervolle Woche. Sie merken, die Blogeinträge werden im Moment für meine Verhältnisse unregelmäßiger, es geht hier bei diversen Themen gerade etwas wild zu.
Egal, wir tragen alle Helme auf dieser Baustelle, die Sicherheitsvorschriften werden beachtet.
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Hier auf dem Foto, ohne jeden sinnvollen Zusammenhang zum Text oben, die Sachlage beim Wein an der Kirchenmauer gegenüber. Aber es ist schon wieder ein paar Tage her, dass ich dieses Bild aufgenommen habe, ich müsste dringend wieder nachsehen gehen.
Ich sage es ja, man sitzt nur so da, und es fallen einem To-Dos ein. Seien sie nun ernsthaft begründet oder nicht. Aus dem Nichts fallen sie einem ein.
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Das erinnert mich an meine Schulzeit – man fand sich plötzlich in einem neuen Land, die ehemaligen Russisch-Lehrer wurden schnell und parallel im Fach Ethik ausgebildet und unterrichtet uns zu Sexualität im Märchen. Den Rapunzelturm als Phallus mit dem den Büschen rechts uns links bekomme ich seit dem nicht mehr aus meinem Kopf ….
Pfui!
Erinnert mich an den Gag hier: https://www.youtube.com/watch?v=nquD7zcZcJI
Eigentlich witzig, und gruselig. Die Erotik der Gebäude.
Das Freischalten führen Studenten aus, nachts in Dublin. Ich kenne jemanden, der das ne Weile gemacht hat. Die sehen meist Übleres.
Pareidolie für Genitalien, so eine zwanghafte Mustererkennung kann das Leben beherrschen – Instagram ist da wie besessen. Die Fenster mittelalterlicher Kirchen bieten da auch oft Stoff für Assoziationen.
Ein ausgesprochen unterhaltsamer Text! Danke!
Oh, das erinnert mich an den Film „The Cleaners“, der wohl in der Mediathek der Bundeszentrale für politische Bildung kostenlos zu streamen ist. Es geht um FB/Insta – Kontrolleur*innen auf den Philippinen, ein wirklich aufschlussreichee Film.
So still war es selten im Sommernachtskino…und dann machten alle ihre Handys wieder an uns checkten die sozialen Netzwerke…sehr skurril.
Wie, und uns wird das Bild nicht gezeit? Ich soll mir ernsthaft einen Instagram-Account anschaffen, um Hamburger Schweinkram zu sehen?