Weißt du noch

Der Guardian berichtet über die Kulturkürzungen in Berlin. Juli Zeh wird dort zitiert, mit einer Formulierung, die mich stört. Sie nennt die Kürzungen „politcally incredibly dumb.“ Ich halte sie eher für durchdacht und auf zerstörerische Wirkung ausgelegt. Die Absichten dahinter werden finster sein und ihre Folgen sind längst überall dort zu beobachten, wo Parteien mit Drall nach rechts Aufschwung haben, also nahezu weltweit. Sie richten sich immer gegen Kultur, Demokratieförderung etc. aus, es ist auch nur logisch.

Ich halte es jedenfalls nicht mehr für zielführend, dieses Vorgehen nur als „dumb“ zu bezeichnen. Es ist eine unzulässige Verniedlichung, es entspricht nicht dem Kenntnisstand.

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Neulich stand ich eine Weile vor einer dieser Werbe- und Infosäulen im Hauptbahnhof, auf denen bunte Anzeigenfilmchen und Tickermeldungen in endloser Wiederholung durchlaufen. Ich hatte einen Nachrichtensatz im Vorbeigehen nur halb gelesen und fragte mich, ob ich wohl, wenn ich kurz warten würde, auch die andere Hälfte noch lesen könnte, denn der Inhalt interessierte mich.

Ich weiß jetzt, dass es ziemlich lange dauert, bis ein Loop mit allen Inhalten voll durchgelaufen ist. So lange sogar, dass ich es nicht bis zum Ende abgewartet habe. Man fühlt sich doch etwas deppert, wenn man vor solchen Anzeigetafeln steht, also noch depperter als sonst.

Es scheint jedenfalls keinen dramatischen Mangel an Werbekunden zu geben.

Ich weiß nun auch, dass ich diese Werbung, die ich sonst nie bewusst zur Kenntnis nehme, nicht mehr in jedem Fall verstehe. Das wird zum Teil daran liegen, dass ich kein Fernsehen mitbekomme und also in mancher Beziehung nicht up to date bin, etwa keine oder kaum noch Promis erkenne, die anderen aus Serien, Shows etc. bestens bekannt sind. Auch einige Gesichter im Politikbetrieb sagen mir nichts, merke ich bei den Nachrichten. Sicher aber wird es auch daran liegen, dass ich aus den Zielgruppen rausgewachsen bin, dass ich als Kenntnisinhaber und Konsument nicht mehr vorgesehen bin.

Jedenfalls gab es mehrere bunte Bild-Text-Kombinationen mit Abkürzungen und Schlagwörtern, die sich mir nicht spontan erschlossen haben. Vielleicht ging es um einen neuen Sport-Streamingdienst, vielleicht um irgendwas mit Games, um neue Telefonprovider womöglich, um Mobilfunktarife oder um mir rätselhaft bleibende digitale Dienste oder dergleichen, keine Ahnung.

Markennamen und Kürzel, die mir fremd waren, also komplett fremd, irgendwelche Buchstaben eben. Diese Werbung war an mich sinnlos verschwendet. So geht es zu, wenn man die Zielgruppen hinter sich lässt. Ein wenig ist es wie beim Kontakt mit Fremdsprachen, bei denen man nur ungenügende Vokabelkenntnisse hat. So geht man in Japan durch eine Fußgängerzone, in der man nur ab und zu etwas versteht.

Vor einiger Zeit hatte ich schon einmal erwähnt, dass es mir auch mit Geschäften in der Innenstadt manchmal so geht. Es machen Läden auf, deren Namen und Logo ich nicht kenne, obwohl sie zu einer Kette gehören müssen, worauf schon die Größe des Ladens schließen lässt. Und es machen auch Läden auf, bei denen ich nach dem Blick ins Schaufenster nicht sofort verstehe, was sie verkaufen. Oder bei denen ich mich, wenn ich es denn verstanden habe, doch frage, ob das ernstgemeint sein kann.

Es ist ein wenig lustig, es ist ein wenig merkwürdig. Und wenn man nicht dauernd aufpasst, wird man schon wieder nostalgisch und denkt mit etwas Wehmut und aufsteigenden Erinnerungsbildern, dass da doch früher dieses andere Geschäft war, wo man damals den dicken Pullover …. Den gibt es längst nicht mehr, diesen Pullover, aber auf dem einen Foto trage ich ihn. Und er war gut, er war so gemütlich.

Weißt du noch.

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Im Bild ein Detail vom Aufbau des Winterdoms. Hanseatengarten, ja klar. So sieht das dann aus.

Ein Detail aus der etwas trostlos wirkenen Szenerie des Dom-Aufbaus, an einem Zaun ein buntes Plakat mit der Aufschrift "Hanseatengarten", darüber sieht man ein Segelboot, das irgendwo zu dekorativen Zwecken verarbeitet werden wird, daneben Parkplatzleere

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8 Kommentare

  1. die unbekannten angebote sahen wir auch z.b. beim elektronicmarkt, geräte deren nutzen sich uns nicht erschloß. buchstabenreihen, die ebenso spanisch oder anderes sein könnten, abkürzungen von dingen oder firmen, die vielleicht absichtlich verschleiert werden sollen? auch waren, deren einkauf mir gänzlich unverständlich wäre: gekochte kartoffeln, pfannkuchen aus der tube, bratfett in plastikflasche… ich denke dann, ich bin zu alt.

  2. Zum ersten Gedanken kommt noch dazu, dass ich in meinem Bundesland beobachte, wie der kaputtgesparte Kulturbereich vor allem im ländlichen Bereich dann von eben diesen Parteien besetzt wird – auch das ist meiner Meinung nach reines Konzept: wenn nur noch die demokratiefeindlichen Strömungen Aktivitäten auf dem Dorf anbieten, sieht man das Ergebnis bei den nächsten Wahlen um so deutlicher ….

  3. Kulturkürzungen sind auch in Dresden und Chemnitz angekündigt.

    Außer für so – meiner Meinung nach – Prestigeprojekte wie die Bundesgartenschau in Dresden 2033 …

    Betroffen sind in erste Linie kleine, aber wichtige Initiativen u.ä.

    Ich muss hier mal nachfragen, weil mich der erste Absatz doch etwas erschreckte – halten Sie das wirklich für „durchdacht und auf zerstörerische Wirkung ausgelegt“?

    Vielleicht bin ich da etwas naiv – aber ich denke eher, da erwartet „man“ am wenigsten Widerstand – und Kollateral-Schaden wird billigend in Kauf genommen.

    Wohin das führen wird, sehe ich auch – aber dass das wirklich gezielt ist, mag ich mir nicht vorstellen.

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