Die Verschiebung der Tannen

Ich sehe in den Nachrichten eine kleine Meldung: Weihnachtsbäume werden in Deutschland im Schnitt immer früher aufgestellt, heißt es da. Sie erobern sich allmählich den ganzen Monat, jedes Jahr werden ein paar weitere Tage des Dezembers mit Tannengrün versehen. Am Ende wird der 1. Dezember der allgemeine Stichtag für den Erwerb der Bäume sein. Man kann bereits darauf wetten, es ist eine sichere Sache.

Bald wird es daher merkwürdig anmuten, dass es früher die Tradition gab, den O-Tannebaum erst punktgenau zum Fest zu schmücken, am 24. oder nur kurz vorher. Es wird uns in Geschichten und Filmen auffallen, guck mal, so haben die das damals gemacht. Wie kurz der dann nur stand!

Wobei mir das vollkommen egal ist. Ich habe keine wie auch immer geartete Beziehung zu dieser Tradition und kann auf einen Weihnachtsbaum auch gut verzichten. Aber andere, versteht sich, sind da äußerst empfindlich. Wie immer, wenn es um Traditionen geht, die den Leuten heilig vorkommen, und es also auch sind. In meinen Timelines lese ich beide Fraktionen. Jene, die den Baum schon geschmückt im Wohnzimmer haben, und jene, die das schockiert und mit vehementer Abwehr zur Kenntnis nehmen.

Die zeitliche Ausdehnung der Sondertannendeko passt jedenfalls zu meiner neulich erst geäußerten Vermutung, dass sich alle Feste immer flächiger über den Kalender ausbreiten, wie gekleckste Farbe auf einem Blatt verläuft. Es war rund um Halloween gut zu beobachten, das mittlerweile eine ganze Woche möglicher Partytermine umfasst, nicht etwa nur einen Abend, eine Nacht, wie es noch vor einigen Jahren war. So lange her ist das nicht.

Wir haben es also kollektiv eher nicht mehr so mit einem zugespitzten Timing. Und am Ende korreliert auch das wieder auf irgendeine Art mit dem Verlauf der Pandemie. Ohne dass mir spontan eine schlüssige Ableitung der Zusammenhänge einfallen würde, aber es ist eine beschleunigte Entwicklung der letzten vier, fünf Jahre.

Im Discounter jedenfalls, ich habe am Sonnabend richtig geraten, stehen prompt die ersten großen Kartons „Pyro-Power“ genau an dem Platz, an dem es vor drei Tagen noch um das Schokoladenweihnachten ging, und die Mitte des Dezembers ist noch nicht erreicht.

O tempora, o mores, aber wem sage ich das.

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Gehört: Eine Folge der feinen Reihe „Giant Steps in Jazz“ beim WDR über Paul Desmond. Er war, so lernt man da, einst schwer in Audrey Hepburn verliebt, der er auch dauernd begegnete. Er traute sich aber nicht, sie anzusprechen und machte, was man dann so macht, wenn man es denn kann, er schmachtete musikalisch.

Man hört das das Sehnen und das Elend, ganz deutlich hört man es.

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6 Kommentare

  1. An dieser Stelle weise ich darauf hin, dass der Weihnachtsbaum eigentlich bis in den Feburar hinein – also bis Maria Lichtmeß am 02.02. zu stehen hatte.

    Irgendwie ist der Zeitraum also gleich geblieben, hat sich aber nach vorne verschoben.

    Ich würde den Baum, den ich traditionell am 24.12. aufbaue und schmücke, gerne länger stehen lassen würde. Aber die städtische Baumabholung ist bereits kurz nach den HeiligenDreiKönigen.

    Auch ich habe das Gefühl, dass die Feste mehr von den Sonderverkaufsflächen bei den Discountern, als durch die (phänologischen) Kalender bestimmt werden.

  2. Wir gehören zur 24.12. – Tradition … was wir aber anders machen, ist der Schmückablauf. Bei uns dürfen am 24.12. die Kinder schmücken, aber die Kerzen erstrahlen dann erst am Abend das erste Mal ….

  3. Mir scheint es auch eine reine Verschiebung zu sein. Früher war in unserer Nachbarschaft Heiligabend der Beginn der Weihnachtszeit, und der Baum blieb mindestens bis Mitte Januar stehen. Weihnachtslieder wurden vom 24. Dezember bis zum 6. Januar gesungen. Heute ist dagegen der Dezember der Weihnachtsmonat.
    Sonderverkaufsflächen in Supermärkten werden von mir sehr weitgehend ignoriert. Momentan erfreue ich zwischen April und August noch an längeren Phasen der Normalität. Ich befürchte aber, dass man in absehbarer Zeit auch für diese Monate thematische Anlässe suchen und finden wird.

  4. Wenn man die Weihnachtsbaumsache mal aus ganz praktischen und wirtschaftlichen Aspekten betrachtet, ist es doch so:
    1. Man gibt viel Geld für den Baum aus
    2. Er wird aufwendig geschmückt, was Arbeit bedeutet, auch wenn es Spass macht
    3. Nach 7 – 10 Tagen wird der Baum entsorgt weil die Abfuhr kommt und die Bäume einsammelt
    Wenn man den Baum bereits in der Adventszeit aufstellt, hat sich die Anschaffung und die Arbeit doch gelohnt, man hat viel länger was davon, Tradition hin oder her.

  5. Ich stimme meinen Virschreibern bezüglich Baum-Aufstellung vollinhaltlich zu … 24.12. bis Lichtmess – so gehört sich das. 😉
    Wenn man denn einen Baum aufstellt, worauf ich allerdings seit Jahren verzichte. Vei zwei großen Pyramiden ist da auch einfach nicht genug Platz.

    Bezüglich der Vor-Verschiebung fallen mir zwei Gründe ein :

    Zum einen artet die Vorweihnachtszeit mittlerweile in Streß aus statt Besinnlichkeit. Man hat hier und da und sonst noch wo Weihnachtsfeiern zu besuchen, Geschenke zu besorgen, Weihnachtsmärkte zu besuchen … ich kann mir vorstellen, dass das Aufstellen des Weihnchtsbaumes da einfach ein Punkt auf der Liste ist, der halt abgehakt wird – je eher, desto besser.
    Traurig, aber ich halte es für möglich.
    Dazu würde auch das „jetzt aber shnell weg damit“ passen. 🙁

    Zum anderen ist die Welt als solche so düster und kalt, dass da vieleicht unbewusst die Sehnsucht nach Licht durchkommt …

    Aber auch der bereits erwähnte Punkt „durch den Einzelhandel getrieben“ kann da mitspielen. Obwohl – wer treibt hier wen? Ist es eine Spirale?

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