Gemüse ohne Kontext

Am Sonnabend war ich wieder auf einer Demo, wie einige andere in diesem Land auch. In Hamburg fiel das Geschehen diesmal etwas kleiner aus, woanders war es dafür umso größer, Sie werden es gesehen haben. Freundliche Grüße etwa nach München (siehe auch hier und hier), Hannover und Bremen. Kalt war es bei uns diesmal, sehr kalt und etwas herausfordernd war es dadurch für mich. Wenn man gerade erst krank war, fühlt sich das Durchfrieren auf Demos nicht ganz richtig an – aber was tut man nicht alles.

Die Demonstrant:innen lagen teils ausgesprochen gut sortiert vor, siehe folgender Bildbeweis. Gut lesbar beschriftet waren sie, da freute sich der studierte und ordnungsliebende Dipl.—Bibl. in mir. Wobei, fällt mir gerade ein, der Klassifikations-Großmeister Melvil Dewey, den Sie abseits bibliothekarischer Spezialinteressen allerdings eher nicht kennen müssen, vermutlich auf der Gegenseite demonstriert hätte. Wie man auch seiner Wikipedia-Seite entnehmen kann.

Ein Pappschild auf dem Rücken einer demonstrierenden Person: "Kinderlose ältere nicht -binäre Person gegen rechts"

Also ich habe ein wenig demonstriert. Dann bin ich mal eben in den Discounter abgebogen, vor dem der Demonstrationszug stand. Dort habe ich dann eine Salatgurke erworben, welche ich beim morgendlichen Einkauf vergessen hatte. Und mit dieser in der Hand habe ich mich gleich darauf wieder eingereiht. Andere hielten Pappschilder oder Fahnen und Transparente, ich hielt Gemüse. Aber daraus kann man mit etwas Fantasie heute vermutlich auch schon eine politische Richtung ableiten.

Die Situation erinnerte mich daran, wie ich vor Jahren einmal mit einem unverpackten Knollensellerie, den ich gerade vom Markt geholt hatte, durch ein Großraumbüro gegangen bin, das Ding in der Hand haltend. Und die Kolleginnen an den Schreitischen mich dabei entgeistert ansahen, als sei ich Hamlet mit dem Schädel auf offener Bühne. Gemüse braucht Kontext, sonst wirkt es schnell merkwürdig.

Bei dieser Demo habe ich weniger Bekannte als sonst getroffen. Vielleicht umkurvten sie mich aber auch, das mag sein, vielleicht sah ich mit der Demo-Gurke noch etwas seltsamer als sonst aus, wirkte noch obskurer? Wer weiß. Es war immerhin eine besonders groß geratene Gurke, ein wahrer Gigant unter den Gemüsen. So ein Exemplar, über das man früher flache Tschernobyl-Witze gemacht hätte.

Danach jedenfalls wieder ins Bett und aufgewärmt. Lange.

***

Sie können hier Geld in die virtuelle Version des Hutes werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch. Die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

3 Kommentare

  1. Unsere standesamtliche Hochzeit war sehr klein, nur die beiden Trauzeugen und wir. Das große Fest sollte am Tag darauf stattfinden.
    Vor dem Rathaus war großer Markt an dem Tag. Und als wir auf den Platz traten, standen die Nachbarn aus dem Studentenwohnheim Spalier, mit Lauchstangen und Zwiebelbündel vom Markt. Gemüse ist eine Haltung und bringt das Gefüge der Welt ein bisschen aus dem Gleichgewicht.

    Danke für’s Verlinken.

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Time limit exceeded. Please complete the captcha once again.