In Tokio wird es alles geben

Vor der Haustür klebt neue Werbung an einem Stromkasten. Das ist nicht ungewöhnlich, aber auf dem Plakat wird geworben für ein Volksbegehren „Werbefreies Hamburg“. Da bekommt man dann gleich wieder Kopfschmerzen, ob dieses logischen Bruchs, kaum ist man nur zwei Schritte durch diese seltsame Draußenwelt gegangen.

Oder, wie der geschätzte L. A. Salami auf seine leise, eindringliche Art vielleicht sagen und singen würde: Gets you wondering.

Davon abgesehen habe ich dann nachgelesen, worum es bei diesem Volksbegehren geht, und erwartungsgemäß kann ich mit der Idee sympathisieren.

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Seit ich die Söhne nicht mehr in Karussells setzen muss, gehe ich auch nicht mehr zum Hamburger Dom, da wird es mir wie vielen Eltern hier gehen. Für mein eigenes Entertainment erscheint mir das Fest deutlich weniger geeignet. Aber ich sehe auf meinen abendlichen Spaziergängen zuverlässig, dass die Veranstaltung gerade stattfindet.

Denn es fallen im Bahnhof und in den S- und U-Bahnen die Menschen auf, welche riesige Losbudengewinnplüschtiere transportieren. Manchmal haben sie ein Kind oder eine ganze Kinderschar bei sich, manchmal aber auch nicht. Dann werden sie diesen überdimensionierten Ausbund an Niedlichkeit, den sie da mit sich herumschleppen und in den Bahnen auch neben sich sitzen lassen, wie nur je einen Freund Harvey, vielleicht für einen kleineren Menschen organisiert und erbeutet haben, den sie später damit beglücken werden. Zur guten Nacht womöglich, oder auch erst zum Geburtstag.

Ich spreche selbstverständlich keine wildfremden Leute an. Aber ich würde es doch für eine attraktive Projektidee halten, einen Coffee-Table-Fotoband ausschließlich mit Porträts erwachsener Menschen zu füllen, die übergroße Plüschtiere mit sich herumtragen.

Auf dem Coverbild wünsche ich mir dann den Herrn im Anzug von gestern, der so beschäftigt und ernst aussah, businessmäßig wie in einer Satire über Konzerne und Consultants. Der bei McDonald’s in der Wandelhalle saß, Pommes aß, Cola trank und auf seinem Notebook an einer Präsentation arbeitete. An einem Zweiertisch in der Ecke. Mit einem großäugigen Plüschwesen auf dem Sitz gegenüber, das er beim Telefonieren und Essen die ganze Zeit so intensiv fixierte, als würde er bei jedem Satz auf ein bestätigendes Nicken warten.

Während ich dies tippe, kommt es mir allerdings auf einmal so vor, als sei die Idee dermaßen naheliegend – ich möchte nach einem Moment Bedenkzeit fast wetten, dass es so einen Bildband bereits gibt. Aus Tokio vielleicht, das würde mich nicht überraschen, es erscheint mir irgendwie passend. Gibt es in Tokio wohl auch Losbudengewinnplüschtiere?

Ach, in Tokio wird es alles geben. Fast zehn Millionen Menschen wohnen in dieser Stadt, was sollte dort denn nicht vorkommen.

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3 Kommentare

  1. In Tokio verkleiden sich viele ja ganz gern gleich selbst als Plüschtier, dann ab zum Pokemon-Cosplay. Die Wohnungen dort sind ja wohl auch zu klein für Großtierplüschies. Den Bildband kaufe ich Ihnen aber ab. Klingt interessant.

  2. Wenn der Herr ein Programmierer war, ist es sogar möglich, daß er Opfer von „pair programming“ war: wenn in der Firma Zweierteams geildet werden, aber einer übrig bleibt, kriegt der oder die eben ein Plüschtier oder eine Gummiente oder sowas zugeteilt. Ob das die Arbeitsergebnisse verbessert, weiß ich nicht.

  3. Als Fotoband nicht, aber als Geschichte hat es jemand -Elke Heidenreich? – unter dem Titel Erika sehr schön erzählt

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