A tale of two cities

Ich war kurz in diesem neuen Möbelhaus, nein, pardon, Einkaufszentrum am Hafen. Sie haben eventuell in den Nachrichten etwas von der Eröffnung mitbekommen, es kam wohl auch überregional. Siebenmal so groß wie die Europapassage, die man bei ihrer Eröffnung damals auch riesig fand, so stand es irgendwo. Das größte Einkaufszentrum Nordeuropas, das stand auch irgendwo. Ich weiß nicht, ob das so stimmt, wer würde das nachmessen wollen, aber es wird schon passen.

Die tödlichste Baustelle Europas, das war eine andere und auch notwendige Benennung. Sechs Todesfälle in der Bauzeit, das klingt nach Katar. Es ist aber die Wirklichkeit in dieser Stadt.

An fünf der Verstorbenen wird mit einer Plakette gedacht, an einen aber nicht. Diese obskure Merkwürdigkeit habe ich nicht weiter ergründen können. Ich habe es mir nur kurz aus der Perspektive der Familie des sechsten Opfers vorgestellt, danach ist man dann aber auch schon wieder bedient.

Die Medien der Stadt berichten immerhin nicht nur banal jubelnd, die diversen Kritikpunkte kommen fast überall zur Sprache. Die Bedingungen auf der Baustelle, die städtebauliche Fragwürdigkeit, der Größenwahn etc. Da kann ich die Medien also auch einmal loben. Das erleben sie mittlerweile nicht mehr so oft, und ich kenne das.

In den sozialen Medien sehe ich mehrere Verlautbarungen, dass man da aber ganz sicher nicht hingehen werde! In dieses neue Ding da am Hafen, weil … und dann folgen die Kritikpunkte in wechselnden Reihungen bis hin zur Tatsache, dass da bald Kreuzfahrtschiffe vor der Tür anlegen werden. Was andere aber wiederum gut finden, weil die Kreuzfahrttouristen dann praktischerweise in einem eng definierten Refugium bleiben und uns in dirty old town nicht im Weg herumstehen.

Man kann es alles so oder so sehen, und man kann das dann auch schreiben, wird dabei aber nach wie vor gerne und auch erstaunlich schnell beleidigend. Aus allen Richtungen.

Ich gehöre nicht zu denen, die da nicht hingehen, ich sehe mir das natürlich an. Der Neubau wird, wie man ihn auch finden mag, einen markanten Einfluss auf die Entwicklung oder den Niedergang der benachbarten Hamburger Innenstadt haben, und da fühle ich mich als anwohnender Blogger zuständig.

Ich gehe da also hin, einmal um alles herum und auch einmal durch. Ich sehe die Läden, die man bei so etwas erwartet. H&M, Zara, Mango und dergleichen, die Auswahl kommt mir nicht eben originell vor. Ein Kino, das auch wieder in irgendeinem Sinne das größte ist, von Hamburg oder von noch mehr, ich weiß es nicht genau. Drei Hotels, dazu noch etliche Restaurants.

Ich bin da eher nicht Zielgruppe für das Angebot, aber das würde ich mir nicht als Argument dagegen durchgehen lassen. Es ist jedenfalls, und ich bin wirklich ein wenig verblüfft, alles noch größer, als man es sich ohnehin nach den Medienberichten vorstellt. Es ist vollkommen unsinnig groß, es ist bekloppt groß.

Die Innenstadt einer kleineren Stadt würde da als bauliches Konzentrat locker hineinpassen. Die Fußgängerzone von Minden etwa, die kenne ich etwas besser, die könnte man da sicher unterbringen. Es ist also eine Art Stadtzentrum. Direkt neben dem Stadtzentrum.

Es ist der Tag der Eröffnung und ich nehme auch die Parallelwelt neben meiner pflichtgemäß zur Kenntnis. Die sich hier darin ausdrückt, dass da Menschen – und nicht eben wenige – herum- und hindurchlaufen, die sichtlich begeistert sind. Die alles großartig finden, die gewiss wiederkommen, die voller Freude sind. Hey, noch ein H&M, wie toll ist das denn.

Ich verstehe diese Menschen nicht, sie verstehen mich sicher auch nicht, und vermutlich macht es nichts.

Ich gucke mir das also alles an. Und ich verbleibe vorerst mit zwei Gedanken. Zum einen kann ich mir bei aller Fantasie ernsthaft nicht vorstellen, dass die städtebauliche Entscheidung für dieses Einkaufszentrum in Rekorddimensionen auf eine verständige, objektiv rationale, fachlich korrekte und dem Gesamtkonzept der Hamburger Stadt gegenüber wohlwollende Art getroffen worden ist. Ich halte das für ausgeschlossen. Ich würde einen hohen Betrag dagegen wetten und bin für meine Verhältnisse recht sicher, da richtig zu liegen.

Die Ruine des Elbtowers hat man beim Rundgang übrigens ab und zu im Blick, aber das sei nur am Rande und wie von ungefähr erwähnt.

Blick vom Miamiplatz in Richtung Elbtower-Ruine

Zum anderen kann ich mir nicht vorstellen, dass diese auf welche Art auch immer aufgestellte städtebauliche Gleichung am Ende aufgeht und sowohl das Riesending am Hafen als auch die nun alte Innenstadt ohne nennenswerten Schaden durch die nächsten, na, sagen wir zehn Jahre kommen.

Da kann ich selbstverständlich falsch liegen, und es wäre sogar für alle erstrebenswert. Aber wie auch immer. Ich sehe mir das alles weiterhin an und werde dann vermutlich berichten, was sich entwickelt.

Schrieb er, während in der Mönckebergstraße in einem weiteren großen Geschäft gerade die Schilder mit dem finalen Ausverkauf hängen: Räumung, alles muss raus.

And so it begins.

Eine Ecke des Westfield-Zentrums mit den Straßennamen in gold: Miamiplatz und New-Orleans-Straße

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3 Kommentare

  1. „It was the best of times, it was the worst of times“
    Der Anfang von „A Tale of Two Cities“ passt ja auch ausgezeichnet und klingt mir sicher noch lange nach beim Betrachten der derzeitigen Weltgeschichte.

  2. Am Eröffnungstag war ich zum Personal Shopping mit einer Kundin in der Innenstadt, in der kaum noch ein Laden mit Qualität und für mittel- bis etwas besserverdienende Menschen bezahlbar ist. Zwischen High End Designer und Zara/H&M gibt es gefühlt nur noch P&C. Die Frage ist, wie lange der noch überlebt, wenn alle anderen Läden der Zielgruppe schließen, und jeden Geschmack Ü40 bildet der nun auch nicht ab. Das macht mir definitiv Sorgen.

    (Wenn jetzt jemand denkt, dass jemand, der einen Personal Shopper bucht, im Geld schwimmt: nein, das ist nicht so. Es geht oft darum, das vorhandene Geld ideal in Kleidung zu investieren, um sie lange zu haben und so zu sparen.).

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