Am Sonnabendvormittag ging der Sommer los. Nicht von der Temperatur her, die war eher betont frisch und noch rollkragentauglich, aber doch bezogen auf einen Umstand, den ich in jedem Winter erneut für drei, vier Monate bemüht verdränge, um dann am ersten Tag, an dem er im April oder Mai wieder auftritt, unangemessen zu staunen, als würde es mir zum ersten Mal auffallen: Meine Güte, ist das bumsvoll in diesem Stadtteil, wenn der Tourismus wieder anläuft.
Es war schönes Wetter an diesem Sonnabend (also fortgesetzte Trockenheit, wie man heute wahrheitsgemäß einschränken muss). In dieser Woche gab es außerdem einen Feiertag, die nächste Woche ist dazu eine einladende Brückenwoche. Da machen viele Urlaub, wie es aussieht, verdammt viele. Es findet am Wochenende außerdem ein großer Marathon der Stadt statt, und es wird ferner die jährliche Lange Nacht der Museen inszeniert. Dazu noch am Hauptbahnhof eine winzige Demo von rechts und eine angemessen große Demo gegen rechts, beides natürlich umgeben von der Polizei in Armeestärke. Und zu allem gibt es noch das neue Rieseneinkaufsding für die Shoppinghorden am Hafen, vor dessen Türen das erste Kreuzfahrtschiff am neu gebauten Kai anlegen wird – alle, alle kommen, und Hamburg will sie erquicken (Matt. 11,28).
Und dann stehen sie in großer Zahl z.B. dort, wo ich auf dem Weg zum Einkauf mal eben durchmarschieren möchte. Was ich aber nicht mehr kann, weil Rudel, Scharen, Grüppchen, Verbünde, Freundeskreise und Großfamilien im Weg herumlungern und diese Stadt, das Szeneviertel und die Außengastromeile aus dem Reiseführer erst einmal in Ruhe auf sich einwirken lassen. Wobei sie allerdings wenig geneigt sind, den herannahenden Nörgelrentnertypen mit dem betont schnellen Schritt und dem merkwürdig finsteren Gesichtsausdruck auf eine Art wirken zu lassen, die sie dazu veranlassen könnte, mal eben aus dem Weg zu gehen. Denn diese Wirkung erfordert einen Schaltkreis, der im Urlaub einfach nicht verfügbar ist.
Ich kann nicht einmal ausschließen, mich auf Reisen vielleicht auch so zu benehmen, ich weiß. Was aber nichts daran ändert, dass es stört. Und wie es mich stört.
Aber okay. Das Sommerprogramm wieder. Ich schalte also auch dabei um. Ich nutze unter der fortwährenden Absonderung wüster Verwünschungen wieder bis etwa Oktober die Nebenstrecken, die Sommerwege. Die Trampelpfade der Einheimischen gehe ich entlang, quer durch das Kleingedruckte des Stadtplans. Abseits der Alleen, backstage der Boulevards. Denn was soll man auch machen.
In einer uninteressanten Stadt möchte man auch nicht wohnen.
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Im weiterhin gut gefüllten öffentlichen Bücherschrank neben der katholischen Kirche steht währenddessen ein gut erhaltener, fast neu wirkender Adorno neben zwei abgegriffenen Romanen von Rosamunde Pilcher und betont freudlos gebundenen, mehrbändigen Texten vom Ratzinger, alias Benedikt.
Welche Gesellschaft soll das abbilden.
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Das sehe ich bildlich vor mir, möglicherweise etwas beeinflusst vom Bild meines Mannes, wenn er als Altstadtbewohner die Bonner Kirschblütenbegeisterten zu durchschreiten versucht wie Moses anno dazumal das Rosa – äh: Rote Meer oder so ähnlich.
Übrigens dachte ich beim Lesen Ihres herrlichen Blogs „neulich“, apropos Bonn, dort am Bertha zu nächtigen kann wirklich einen miesen Eindruck von der Stadt hervorrufen (vielleicht irre ich mich aber auch und Sie waren anderswo untergebracht). Da rate ich, das sehr fußläufige Ziel „Alter Zoll“ aufzusuchen und – zack! – ändert sich der Eindruck um 180 Grad.