Als ich neulich bei einem meiner quartalsweise vorkommenden Versuche, mich doch noch mit dem Medium Hörbuch anzufreunden, den Anfang von Storms Schimmelreiter nachgehört habe, hat sich ein Verdacht bestätigt, den ich schon länger hatte, den zu verifizieren ich aber in den letzten Wochen nie Zeit oder Gelegenheit hatte. Es ist nämlich tatsächlich so, dass die Geschichte vom Schimmelreiter einen immerhin dreifach gestaffelten Erzählrahmen hat. Ein Erzähler erzählt einem Erzähler, was ihm ein Erzähler erzählt hat. Oder nein, genau genommen erzählt der Erzähler, wie er als Kind ein längeres Stück in einer Art Zeitschrift gelesen hat, in dem jemand erzählt, wie ihm etwas in einer Sturmnacht in einem Wirtshaus an der Nordsee erzählt wurde, wobei übrigens nicht einmal endgültig klar wird, ob der Erzähler auf der dritten Stufe die Geschichte im Dorf selbst mitbekommen oder womöglich auch nur erzählt bekommen hat, von wem auch immer.
Und man merkt das als Leser gar nicht, wenn man nicht sehr genau aufpasst, man sitzt da wie in einer Zaubershow und bekommt den Trick nicht mit, obwohl man doch weiß, dass gleich getrickst wird. Man gleitet so in den Bericht hinein und ist nach wenigen Minuten ganz auf der Höhe des Geschehens, im Scheinwerferlicht nur noch Hauke Haien, der Deiche modelliert und darüber nachsinnt. Die Erzähler treten alle drei zurück ins Dunkel, bis man sie schnell ganz vergessen hat, obwohl doch zumindest einer von ihnen durch seine Begegnung mit dem Schimmelreiter erheblich zum Wahrheitsgehalt der Geschichte beiträgt. Das hat er schon verdammt gut gemacht, der olle Storm, so ein kompliziertes Konstrukt erst auf der Bühne zu inszenieren und dann umgehend wieder verschwinden zu lassen, das ist äußerst gekonnt eingefädelt.
Oder, wie es die Berufsschüler ausdrücken würden, die vormittags kiffend vor unserer Haustür herumlungern: “Respekt, Digger. “
Die einen sagen so, die anderen sagen so.
Heißt es nicht „Digga“, wo wir schon bei Literaturkritik sind? Ich hätt geschwor‘n.
Was ein:e Leser:in meist nicht bemerkt: Der erste Erzählrahmen (Junge liest bei Uroma in blauer Zeitschrift) bleibt am Ende offen. Aber da gleich zu Anfang gesagt wird, dass die Blätter seitdem verschwunden sind, ist das wohl legitim (und wäre sonst langweilig-symmetrisch).
10.klässlern drücke ich zum Herausfinden gern eine Martjoschka in die Hand.
Neulich sprach mich mein 26jähriger Sohn mit Digga an. Da wusste ich, dass er völlig entspannt und auf das Gespräch konzentriert war. Vaterfreuden
Im Thalia läuft gerade übrigens eine Dramatisierung des „Schimmelreiter“. Ich fand es ein wenig dröge, aber Susanne mochte es. Just sayin‘.
Und die tolle Birte Schnöink spielt Frau Schimmelreiter.
barbara nüsse.
Macht Lust, den Roman aus dem Regal zu nehmen und nach über 20 Jahren mal wieder zu lesen. Danke.