In den Kommentaren zum letzten Text wurde verschiedentlich angemerkt, ich könne das Handy beim Diktieren doch auch einfach anders oder sogar richtig halten, also ans Ohr, wo es hingehört – ich muss aber beim Reden doch auf den Bildschirm sehen, um zu prüfen, wie die Sätze entstehen, die ich da spreche. Deswegen die bekloppte Haltung.
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Man muss, wenn man so herumläuft, um etwas zu diktieren, auch erst einmal auf etwas kommen. Also so lange gehen, bis einem etwas einfällt oder auffällt, bis man irgendeinen Gedanken erwischt, aus dem man vielleicht etwas machen könnte. Das kann dauern, sowohl in Minuten als auch in Metern gerechnet, es kann sogar ziemlich lange dauern, denn man denkt zwar dauernd irgendwas, aber nicht unbedingt etwas, das einem auch brauchbar erscheint, geschweige denn dem hochgeschätzten Publikum. Und man sieht auch nicht immer etwas, das man für berichtenswert hält, schon gar nicht in der eigenen Hood, wo man meist völlig bermerknisblind herumlatscht. Es kann also sein, dass man geht und geht und auf nichts kommt, so wie heute. Der Gebrauch gewisser Stimulantien scheint mir daher absolut gerechtfertigt, ich denke da etwa an traurige Musik.
Das hat natürlich nur Sinn, wenn man traurige Musik gewissermaßen als geistigen Treibstoff nutzen kann, aber vielleicht ticken Sie ja zufällig dauerhaft oder zumindest ab und zu in dieser Hinsicht gerade so wie ich und verstehen das daher. Ich brauche traurige Musik zum Schreiben, je Melancholie, desto Text, das gilt auch für heitere Texte und Pointen aller Art, mit anderer Musik geht das nicht.
Warum auch immer, das kann ich gar nicht weiter erklären. Oder, wie die Söhne sagen würden, weil Baum. Das ist ihre Antwort, wenn etwas nicht weiter zu begründen ist, ich finde diese Antwort ganz hervorragend und kann mich gar nicht erinnern, ob wir als Kinder auch eine Antwort in der Art parat hatten, also außer “darum”. “Warum hast du für Englisch nicht gelernt? “Weil Baum.” “Warum heilt der Ellenbogen nicht?” “Weil Baum.” “Warm hörst du immer nur traurige Musik?” “Weil Baum.” Man kann sehr viel damit abkürzen, probieren Sie das ruhig auch einmal im Büro.
Jedenfalls habe ich da mal etwas vorbereitet, 99 ziemlich traurige Songs, damit komme ich sinnend um den Block und noch etwas weiter, vielleicht wollen Sie ja auch mal. Deutschsprachige Songs sind nicht dabei, EoC fehlen also, aber deutschsprachige Songs gehören für mich auch zu einer anderen Schreibart, mehr so Richtung Kurzgeschichte.
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Ich versuche gerade, die Sachbuchphase wieder zu beenden, das ist gar nicht so einfach. Immerhin habe ich 50 Seiten in einem Familienroman geschafft, geht doch.
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Laut der Zeit wird das “schräg zum Zeitgeist stehende” Hobby gerade wiederentdeckt, Sie merken, ich muss noch Links aufräumen. Ob das Wandelbloggen wohl schräg genug steht?
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Beim Deutschlandfunk finde ich schöne Belege für meine gestern geäußerten Zweifel am Konzept Wahrheit: “Korrektes Erinnern ist unmöglich.”
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Jonas Schaible denkt über die Rechten nach. Ganz kurz ist darin der vielleicht wichtigste Satz, wenn den doch bloß auch die Damen und Herren in den Medien mal herauslesen wollten: “Mehr über anderes reden.”
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Am Hauptbahnhof wird schon wieder herumgebrüllt, diesmal ist es aber keine Demo, diesmal ist es der Fußball. Der HSV spielt gegen St. Pauli, das sorgt für reichlich Alkoholkonsum am frühen Morgen, für grölende Menschen in befremdlicher Aufmachung und das beschäftigt ziemlich viele Polizistinnen und Polizisten, die rauchend auf dem Bahnhofsvorplatz vor ihren Einsatzfahrzeugen stehen, an ihrer vielteiligen Rüstung herumzuppeln, sehr genervt gucken und mit ihrer Berufswahl vermutlich gerade nur bedingt glücklich sind.
Der Garten, der unserer Parzelle schräg gegenüber liegt, der gehörte einmal einem bekannten HSV-Torwart, habe ich gestern gerade gelernt. Ich habe seinen Namen schon wieder vergessen, mir fehlen da die Kenntnisse. Das heißt jedenfalls, dass die gesamte HSV-Prominenz, Uwe Seeler eingeschlossen, früher dauernd an unserem Garten vorbeigegangen ist, wenn sie den da besucht haben. So etwas lernt man beim Smalltalk an der Hecke, damit habe ich auch nicht gerechnet.
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Die Gartensaison nähert sich dem Ende, in den Beeten steht nichts mehr außer der Tomatennachhut, einigen prächtigen Kürbissen und etwas rotem Grünkohl, die anderen Beete werden demnächst freundlich mit Laub zugedeckt und haben ein paar Monate Ruhe. Ich habe während des Sommers mitgeschrieben, was wir dem Garten zum Verzehr entnommen haben, in wie kleinen Mengen auch immer. Das war erstaunlich vielfältig, das hätte ich gar nicht so erwartet:
Aubergine
Äpfel
Blutampfer
Basilikum
Blaubeeren
Buschbohnen
Chili
Dicke Bohnen
Dill
Eichblattsalat
Eisbergsalat
Erdbeeren
Estragon
Himbeeren
Hokkaido
Johannisbeeren
Kapuzinerkresse
Kartoffeln
Kirschen
Kohlrabi
Koriander
Knoblauchsrauke
Gänseblümchen
Giersch
Grünkohl
Löwenzahn
Mairüben
Minze
Oregano
Petersilie
Radieschen
Rauke
Rote Melde
Pflücksalat
Rosmarin
Sauerkirschen
Schokominze
Schnittlauch
Stachelbeeren
Tomaten
Thymian
Zitronenmelisse
Zitronenverbene
Zuckererbsen
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Die Herbstferien haben begonnen. Ein Sohn ist alleine auf Reisen, weil er unbedingt was mit Pferden machen will, einer macht wochenlang Workshops beim Theater, weil er unbedingt auf eine Bühne will – schon wieder so ein Fall von “Sie werden so schnell groß”. Anfang des Jahres dachten wir noch, wir hätten im Herbst ein kompliziertes Betreuungsproblem, jetzt organisieren sich die einfach selber was. Auch recht!
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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.
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„bemerknisblind“ gefällt mir – kommt im Neuwörterbuch vor „tasttaub“ 🙂
Victor Hugo sagte, Melancholie sei „das Vergnügen, traurig zu sein“. Und „Saudade“ nennen die Portugiesen das Gefühl, das sich nur unzureichend mit etwas wie „Sehnsucht, die voller Melancholie und Weltschmerz ist“ beschreiben lässt und keineswegs nur, aber doch vor allem Traurigkeit meint. Seit ich vor vielen Jahren das erste Mal in dem Land war, ahne ich, dass meine Seele eine portugiesische Vergangenheit haben muss.
Ich erzähle das, weil ich Sie jetzt für diese exzellente und so wunderbar traurig-schöne Playlist mal eben kurz fest drücken muss, das lässt sich leider nicht vermeiden, auch wenn ich sowas sonst nicht so ungefragt mache. Von Herzen Danke.
(„bermerknisblind“. Schönes Wort.)
(Da musste mein Kommentar so lange aufs Absenden warten, weil mich die Musik so in Beschlag nahm, dass das mit dem schönen Wort nun wie abgeschrieben aussieht. War es aber nicht 😉 )
Sehr nett, die Bebilderung!
Ist der Roman gut?
Freundliche Grüße
Gegen die Versachbuchlichung, eine solche wäre ja gar nicht auszuhalten: Haben Sie schon „Machandel“ gelesen? Oder „Die Gottespartitur“?
Wirklich nur bei trauriger Musik? Na, sowas, ich würde es mal mit JazzRock probieren, sehr anregend!
https://www.youtube.com/watch?v=PJi0PhJVk7k
In unserer Familie sagt man „wegen p“, wobei man das p wie ein Grundschüler ausspricht, also „pö“, nicht „pee“. Funktioniert seit Jahrzehnten ?
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