Genau

Ein Special über die Dürre in Deutschland.

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Wunschbloggen! Micha fragte in einem Kommentar zum letzten Artikel, wann ich denn ein Buch wegen der Handlung lesen würde. Das ist einfach – so gut wie nie. Handlungen interessieren mich eher weniger, was natürlich bedauerlich für die ist, die so wahnsinnig viel Mühe darauf verwenden, sich verwickelte Handlungen voller Überraschungen und Zeitblenden auszudenken, das sehe ich ein. Aber tatsächlich gebe ich mir nur geringe Mühe, einer Handlung zu folgen, und wenn sie zwanzig Personen und zig Schauplätze umfasst, bin ich ziemlich garantiert raus. Ich lese aber dennoch weiter, wenn das Buch gut geschrieben ist, denn mich interessieren Szenen und Schilderungen, ich gehöre also auch zu jenen vermutlich seltenen Freaks, die drei Seiten Landschaftsbeschreibung gut finden, ich lese die dann sogar zweimal, wenn sie gut sind, weil ich wissen möchte, warum genau diese Seiten gut sind. Haben Sie noch parat, wie etwa Fontane Häuser beschreibt? Die stehen nach vier Seiten komplett vor ihnen und Sie könnten die dann zeichnen, also wenn Sie zeichnen könnten jedenfalls – und das ist sauschwer, so zu schreiben. Bei Simenon setzt sich ein Mann in ein Zugabteil zu drei anderen Personen, und nach drei Seiten weiß man, wie die alle aussehen, wie die Stimmung ist, wie das Licht ist und was vor den Fenstern ist – ich kann mich damit endlos beschäftigen, wie so etwas geht, wie das Bild in die Sprache und von da in meinen Kopf kommt und warum das nicht allen Schreibenden gelingt, warum es im Grunde wenigen gelingt. Wobei das kein dominantes Qualitätskriterium ist, es gibt genug große Autorinnen und Autoren, die nicht bildhaft schreiben, die es gar nicht versuchen, es geht hier gerade nur um meinen Geschmack. Ich bin ein Bildermensch, bevor ich geschrieben habe, hat mich viel eher die Kunst interessiert, das wirkt immer noch nach. Ich gehe aber auch ins Theater und freue mich eventuell mehr über das Bühnenbild und über die Kostüme als über den Rest, doch, das kommt vor.

Ich habe vermutlich einen schlichten Intellekt und auch einen schlichten Geschmack, ich bemerke wahnsinnig geistreiche doppelte Ebenen und Anspielungen und Tricks eher nicht, weil ich nämlich so mit Gucken und Anstaunen beschäftigt bin, und das ist nicht fishing for compliments.

Ich interessiere mich bei Handlungen nur schier endlos für das Werden und Vergehen von Liebesbeziehungen, einer sagt einer, dass er sie liebt, die sagt ja oder nein oder weicht aus oder läuft weg. Dann sind sie zusammen und irgendwann nicht mehr, dann haben sie Liebeskummer und der geht vorbei oder nicht, das wird einfach nicht langweilig und ein nicht so kleiner Teil von mir denkt ganz ernsthaft bis heute: Darum geht es doch. Darum geht es doch? Das ist wie bei Sven Regener, der kann auch den fünfhundertsten Song noch damit beginnen, dass sie weg oder da ist. Es bleibt interessant, wie es diesmal ausfallen wird. Im Grunde könnte dieses Interesse natürlich auch mit Groschenromanen bedient werden, die sind aber leider nicht so gut geschrieben wie andere Werke der Weltliteratur und intellektuell dann doch sogar mir zu flach.

Romane wie die Sturmhöhe lese ich eigentlich ungern, weil er mir, lachen Sie ruhig, zu gewaltsam ist. Ich bin ein zimperliches Sensibelchen und lese ungern von psychischer und noch unwilliger von physischer Gewalt. Es gibt eine ganze Reihe von Büchern, darunter auch sehr gute Bücher, deren Lektüre ich bis heute bereue, weil mich die darin beschriebenen Szenen immer noch verfolgen, und zwar auf unschönste Weise, nehmen wir etwa die “Brücke über die Drina”. Die ist in diesem Sinne wirklich ganz fürchterlich, aber sie ist natürlich ein gutes Buch, keine Frage.

Gute Sprache macht vieles wett, in guter und sehr guter Sprache geht fast alles. Es gibt auch Sprachvarianten, in denen kann man mir jeden Quatsch erzählen; ich habe vermutlich in keinem einzigen Brenner-Roman von Wolf Haas verstanden, was da genau die Handlungslogik war, es war mir auch völlig egal – aber ich hätte auch gerne zwanzig Bände der Reihe gelesen, Sucht Hilfsausdruck.

Wenn ich durch eine Buchhandlung gehe, interessieren mich die meisten Bücher der Handlung nach zu urteilen nicht. Im Grunde verstehe ich nicht recht, warum alle das eigentlich Interessante, nämlich er liebt sie, sie liebt ihn nicht oder umgekehrt, so unfassbar umständlich in komplexe und kunstvolle Handlungen einbauen, in denen es um ganz andere Themen geht.

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“Schnelles Denken, langsames Denken” von Kahneman weitergelesen, da ging es gerade um die Sache mit Ball und Schläger, die kennen Sie vielleicht? Ein Ball und ein Schläger kosten zusammen 1,10, der Schläger kostet einen Euro mehr als der Ball. Was kostet der Ball? Die meisten sagen, er kostet zehn Cent, was auch keine Schande ist, man ist da in bester Gesellschaft, allerdings ist es falsch. Die richtige Antwort lautet fünf Cent und das ist nur einer der vielen Beweise, warum wir nicht die Hellsten sind.

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Auf dem Barcamp fiel mir wieder auf, was mir gerade überall auffällt, nämlich dass es unter Sprecherinnen und Sprechern gerade eine Genau-Invasion gibt, alle sagen immer genau, manche sogar, bevor sie etwas anderes sagen, so als völlig sinnfreie Einleitung, fast alle aber sagen es garantiert, wenn sie – im Falle einer Präsentation – eine Folie beendet haben. Genau. Wenn es einem erst einmal aufgefallen ist, wird es wirklich schrecklich. Genau. Achten Sie mal drauf.

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Hier haben die Söhne übrigens neuerdings Interesse am Kochen, entgegen aller bekannten Theorien und Ratgeber allerdings nur, wenn sie das Zeug hinterher nicht probieren müssen. Nicht immer verläuft also alles in der kindlichen Entwicklung lehrbuchgerecht, aber egal, es gibt Essen. Sehr gut zubereitetes Essen, denn sie geben sich Mühe, so ist es ja nicht. Sie geben sich sogar sehr viel Mühe. Gestern erst hat einer den anderen abends mit ziemlich robustem Mandat vom Herd weggeprügelt: “Hau ab! Du kochst nicht mit genug Liebe! Das kann doch so nicht schmecken!”

So etwas erleben Sie auch in keinem Sternerestaurant, das geht nur mit Kindern.

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Musik! Beachten Sie bitte am Ende bei 4:26, wie er sie ansieht. Ist das nicht schön?


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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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12 Kommentare

  1. Genau so ist es: Inhalt relativ egal, Sprache entscheidend. Und das Genau geht mir schon lange aufn Geist.

  2. Boahr! Ich staune! Völlig anderer Ansatz! Habe ich es doch richtig bemerkt… Du bearbeitest Sprache wie Holz bis eine Skulptur daraus wird. Du feilst, bis exakt die Skultpur in Worten vor dir steht, die vor deinem inneren Auge schwebt. Der Übersetzung zuliebe von einer Ebene auf eine andere Ebene. Krass! Für mich ist Sprache Vermittlung von Botschaft – zu allerallererst. Gemeinsame Schnittmenge: genaues Hinsehen. Und die Zuneigung für treffende Beschreibungen.
    Hach, du bist schon ein Schöngeist, richtig?
    Danke für die – für mich – überraschende Antwort!

  3. Ich verstehe nicht, wie man auf 10 ct für den Ball kommt.

    Diese „Genau-Invasion“ (schöner Ausdruck!) ist mir schon vor einigen Jahren aufgefallen. Der Chef begrüßt die Kunden zu einer Veranstaltung, leitet über zur Präsentation, der Kollege/die Kollegin beginnt mit „Genau.“. Nach einer Unterbrechung, z.B. einer Zwischendiskussion, geht es weiter mit „genau.“

    Im Team-Meeting bittet der Moderator Kollegin X, über neue Erkenntnisse zu einem Thema zu berichteten, sie startet mit „Genau.“.

    Woher kommt das? In keinem meiner Präsentations- oder Kommunikationsseminaren kam das vor.

  4. Auweia, ich habe ganz schön lange grübeln müssen, bis ich Kahnemann folgen konnte. Aber ich bin auch seit je ein bisschen doof mit Zahlen.

    Der Dialog der Söhne vor dem Kochtopf: zum Niederknien. Das habe ich bei meinen Söhnen komplett versäumt – ihnen mal das Kochen zu überantworten. Lag sicher an meiner eigenen Einstellung dieser täglichen “Pflicht“ gegenüber. Zum Glück hatten wir den Vater, der am Wochenende mit Liebe, Können und Ehrgeiz dieses Manko ausgleichen konnte.
    Zu spät habe ich erfahren, wie eine Freundesfamilie das handhabte: jeden Sonntag war ein anderes Kind (3 an der Zahl) für das Familienmahl sowohl in der Auswahl, Einkauf und Ausführung zuständig. Und alle mussten es ohne Murren essen. Das hatte langfristig gute Ergebnisse.

  5. Also ich habe Sturmhöhe vor Jahren auf Englisch gelesen und zwar vor Kindle mit integriertem Wörterbuch, aber ich werde es nicht wieder lesen. Die Niedertracht – und Leichtigkeit – mit der zu der Zeit als das spielte ganze Leben zerstört werden konnten, regt mich immer wieder auf.
    Auch heutzutage, kann man mit der ersten Liebe böse daneben greifen, aber man schiebt dann Liebeskummer und es ist gut.

  6. Schlimmer als „genau“ finde ich das Füllwort „sozusagen“.
    Sogar noch schlimmer als ein fragendes „ja?“ am Ende von jedem, aber wirklich jedem Satz.

  7. Schließe mich Hans vollinhaltlich an: es ist ein U-30 Ding, gern auch obligaten Kopfnicken, und es geht mir genauso auf den Zeiger. Noch nichts gesagt aber genau…grr.
    Ich kann mich leider nicht mehr daran erinnern was man zu meiner Zeit sagte mit dem man die Altvoderen nervte. Gab es aber bestimmt auch so vor 30+ Jahren..

  8. Mein „genau“ heißt „tatsächlich“ und wird – wenn man denn bewusst darauf achtet – derzeit tatsächlich in Funk, Freundeskreis und Fernsehen so regelmäßig wie unsinnig füllwortig verwendet, dass es tatsächlich kein Spaß mehr ist.

  9. Also ich nenne das „mit Wörtern malen“ und wenn eine/r das kann ist es wunderbar. Vor dreihundert jahren hab ich mal im Studium den Satz gehört, zwei Arten von Lektüre: „The King died. And then the Queen died.“ Oder: „The King died. And then the Queen died of grief“.
    Außerdem hätte ich noch ein wunderbar scheußliches Wort beizusteuern: Insofern. Grauenhaftes Füllsel, v.a. bei Juristen ….

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