Goldene Momente

Hier, ein Video von Kiki: Escaping the social media trap. (And it’s all true.)

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In den Kommentaren zu meinem letzten Text wurde auf Facebook ASMR erwähnt, das wird sicher nicht jedem etwas sagen. Clemens Setz hat einmal etwas darüber geschrieben, und wenn Sie jetzt auf Youtube zum ersten Mal danach gucken sollten, Sie finden da hochgradig erstaunliches Zeug. Wenn Sie etwas weiter suchen, wird es noch entschieden seltsamer, versprochen. Natürlich wirken diese Videos in der von Clemens Setz beschriebenen Weise nur bei einigen wenigen Menschen. Bei mir z.B. wirken sie nicht oder jedenfalls nicht in der intendierten Weise. Bei mir wirken sie wie diese Fokus-Playlists auf Spotify, die ich brüllend ausstellen möchte, und das ist ja wirklich nicht erstrebt. Ich habe dennoch vor einer Weile ein paar dieser ASMR-Videos gesehen, aber es war doch eher die Faszination des Schreckens. Wenn es nicht wirkt, wirkt es eher seltsam.

Ich kann aber etwas in der Richtung beisteuern, da ist sogar auch eine körperliche Reaktion dabei. Es ist kein Kribbeln oder etwas in der Art, aber es ist doch immerhin ein Schönheitsempfinden, das irgendwie auch den Bauch erreicht und das vor allem sehr entspannend wirkt, weil kurz – viel zu kurz! – alles richtig ist. Dazu brauche ich Kopfhörer, Musik, die mir sehr gut gefällt und ich brauche, das ist dann der Teil, bei dem es verdammt schwierig wird, eine Stadtszene, in der die Bewegungen mehrerer oder im Idealfall sogar aller Passanten und/oder aller sich bewegenden anderen Elemente im Bildausschnitt genau zum Rhythmus des Songs passen. Das klappt gar nicht so oft, aber manchmal eben doch. Vielleicht sogar über mehrere Takte! Das ist dann schon fast perfekt, ein goldener Moment.

Ich nehme an, das ist ein Folgeschaden meines exzessiven MTV-Konsums als junger Erwachsener. So etwas bleibt doch sicher nicht ohne Folgen, wenn man diese Clips jahrelang wie ein Junkie verbraucht, statt sich sinnvoll zu beschäftigen. Im Grunde gehe ich nach all den Stunden vor dem Bildschirm mit dauerlaufenden Musikvideos vermutlich unbewusst davon aus, dass Szene und Ton gefälligst harmonisch zu passen haben, dann ist es nämlich richtig, dann gehört alles so und ist sinn- und planvoll. Wobei man sich natürlich an den heute völlig unfassbar  erscheinenden Umstand erinnern muss, dass wir damals nicht vorspulen konnten. Wir haben also stundenlang alles gesehen, auch den übelsten Müll, auch Last Christmas, immer wieder und immer in der Hoffnung, irgendwann doch noch das sehen zu können, was wir gerade gut fanden. Und es hat sich auf diese Art alles recht tief eingeprägt, möchte ich meinen.

Wenn ich heute morgens im Hamburger Hauptbahnhof stehe und am Gleis gegenüber der Regionalexpress aus Lübeck einläuft, wenn aus dem die vor Müdigkeit wankenden Pendler aussteigen und die ersten drei Figuren das zufällig im richtigen Takt meiner Musik tun, dann, so deute ich das jedenfalls, bin ich ganz kurz in einem Video und mein innerer Jugendlicher bebt mal eben ergriffen. Und das soll er auch ruhig tun, er hat ja sonst nichts mehr zu melden.

Ein Glas auf Ray Cokes! Ist zwar nur Wasser, aber egal. Die Geste zählt.

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Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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