Erich Fromm und die Angst vor sozialer Isolierung, ein langer Text. Erich Fromm steht auf der Leseliste, den ziehe ich vielleicht mal vor.
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Neues Hörbuch: Simenons “Maigret amüsiert sich”, wieder gelesen von Walter Kreye. Maigret macht in dem Roman Urlaub, fährt aber nicht weg, sondern bleibt zuhause in Paris und sieht zu, wie seine Frau in der Wohnung “ihren Aufgaben nachgeht”, denn für sie kommt so etwas wie Urlaub nicht einmal in Betracht, sie arbeitet ja nicht. Sie ist nur den ganzen Tag mit Aufgaben beschäftigt. Ab und zu bittet sie ihn, ihr etwas aus dem Weg zu gehen, damit sie besser fegen kann. Er geht dann einen Schritt und sieht weiter aus dem Fenster.
Die unfassbaren Mengen Alkohol, die in den Maigret-Romanen zu jeder Tageszeit verbraucht werden, sie sind mir natürlich schon früher aufgefallen, da ich aber im Moment keinen Alkohol trinke, fällt es noch viel mehr auf. Zumindest die Männer trinken praktisch immer, wenn sie nicht gerade von A nach B gehen. Irgendwo anzukommen, das heißt auch etwas zu bestellen oder aus dem Schrank zu holen. Die dauerbreite Gesellschaft, ich habe die letzten Ausläufer davon sogar noch erlebt. Als ich im Büro anfing, 1987, da wurde tagsüber noch erheblich mehr getrunken als heute, und es war ganz normal und nicht irgendwie anrüchig. Piccolöchen am Vormittag, gar kein Problem.
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Ich sitze mit meinem Notebook in der Zentralbücherei zwischen der Soziologie und der Kunst, ich habe mir einen ruhigen Platz zum Arbeiten gesucht. Die Wohnung ist voller Besuch und ich muss Texte abgeben, ich bin quasi auf der Flucht. Vor mir sitzt ein mir unbekannnter etwa dreizehnjähriger Junge in Bomberjacke, der nichts macht und nur ernst ins Leere guckt. Ab und zu sieht er auch zu mir, was für ihn aber vermutlich deckungsgleich ist. Er sitzt da sehr lange und sieht in der ganzen Zeit auf kein Handy und in kein Buch, er wechselt nur ab und zu die Beinhaltung und er hält auch nach niemandem Ausschau, womöglich denkt er tatsächlich einfach lange nach. Faszinierend, das versuche ich vielleicht auch mal.
Später esse ich etwas in der Cafeteria der Bücherei. Neben mir sitzen drei summende und singende Damen vor einem ganzen Berg von Noten, sie blättern diese in großer Geschwindigkeit durch, so schnell wie man gerade eben noch blättern kann, bevor es hektisch und auffällig aussieht. Es ist eher sehr zielstrebig als eilig. Sie schlagen die Hefte auf, gucken jeweils kurz auf die Noten und summen dabei, sie reichen sich die Noten zu und weiter und im Kreis. Sie blicken sich kurz zwischendurch an, lächeln wissend, trinken einen Schluck Kaffee, summen manchmal auch synchron, singen einzelne Silben oder Zeilen, manchmal sogar zu dritt, meistens aber einzeln oder zu zweit. Ganz leise machen sie das, eine dezente Chorarbeit im Hintergrund. Ab und zu lachen sie, nachdem sie etwas gesummt haben, wer weiß warum, vielleicht in Erinnerung an frühere Auftritte oder Proben. “Glocken mit heiligem Klaaahaaang” singt die eine dann etwas lauter, ich habe danach für den Rest des Tages einen leicht verfrühten Ohrwurm. Es ist also Saisonbeginn für Weihnachtschöre, noch sitzen sie diskret in Cafés herum und erinnern sich und suchen Stücke und summen, bald treten sie schon wieder auf.
Oben in der schönen Literatur könnte jemand das kleine Sonderregal “Weihnachten”, das den ganzen Sommer über von Ecke zu Ecke geschubst wurde und immer irgendwie ungeliebt am Rand herumstand, bald wieder in den Mittelpunkt rücken, wo es dann für etliche Wochen völlig logisch und angemessen aussehen wird.
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Im kleinen Bahnhofsviertel: Um eine Litfaßsäule herum steht eine kleine Horde abgestellter E-Roller, alle gleich ausgerichtet wie hungrige Nutztiere um einen Trog. Das könnte man so im Weihnachtsmärchen einbauen, dieses Bild, Ochs und Esel als E-Roller, voll modern und wahnsinnig urban.
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Ich teste wieder eine Meditations-App, denn das mache ich ab und zu, weil es ja gut sein soll. Diesmal läuft es so: Eine Stimme fängt an und bittet mich in freundlichem Tonfall, ruhig zu atmen. Da ich nur spätabends überhaupt Zeit für diese App habe, liege ich dabei schon im Bett und schlafe sofort ein, tatsächlich in Sekunden, Narkose nichts dagegen. Die Stimme macht daraufhin eine lange und geduldige Pause, weil man ja gründlich und langsam atmen soll, das wartet sie also erst einmal ab. Dann erklärt sie, wie es weitergeht. Ich kriege einen Todesschreck, weil auf einmal jemand im Raum spricht, ich bin schlagartig wieder hellwach, mache die App aus und kann noch eine halbe Stunde lesen. Das ist eine feine Sache und hilft mir sehr weiter, Meditations-Apps sind super.
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Musik! Da muss man sich ein wenig Zeit nehmen, es lohnt sich aber: Die Show of the week von 1968 mit Louis Armstrong.
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Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.
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Alle Jahre wieder kursieren Bilder von der „Hipster-Krippe“ mit den Königen auf Segways statt Kamelen. Muss nun wohl aktualisiert werden…
https://www.woman.at/a/hipster-krippe
Manchmal lese ich meiner Frau glucksend vor Lachen Textauszüge von Ihnen vor. Heute war es besonders schlimm.
Danke, Herr Buddenbohm, jetzt ist mein Baby wach. Sollte mir langsam mal merken, nicht ihre Texte zu lesen, wenn andere neben mir schlafen sollen…
Über die Sache mit der Meditations-App mußte ich herzlich lachen, vielen Dank!
Die Sache mit dem Alkohol im Alltag: Meine Mutter ist auf einem Bauernhof im westlichen Münsterland aufgewachsen. Dort war es so Usus, dass jeder, der auf den Hof gekommen ist, erstmal einen Schnaps trinken musste.
Man kann sich also gut vorstellen, dass der Postbote gegen Ende seiner Schicht mächtig einen im Kahn gehabt haben muss. Und ich kann gar nicht abschätzen, wie viele Arbeitsunfälle vermeidbar gewesen wären, wenn die Leute nicht ständig alle dauerbesoffen gewesen wären.
Haha, also damals(TM) war es Eierlikör.
Und die Sache mit der Meditations-App – tja, Hörbücher sind auch super zum Einschlafen, am besten die megagrusligen von Dietmar Bär gesprochen. „Es lagen drei blutige Leichen am Kai“ grunz, eingeschlafen. Wenn man nicht mehr lesen möchte.