Als es auf einmal so kalt war

Neulich, als es auf einmal so kalt war, lag ich mit einem Sohn auf dem Sofa und wir lasen. Es war schon spät am Abend, jedenfalls aus Sicht eines Kindes. Die Balkontür war einen Spalt auf, denn ich mag es, wenn die Nächte kühl sind und man endlich wieder unter Decken liegen und Tee trinken kann. Von draußen kam ein Geräusch, das da sonst nicht war. Ein dröhnendes Stampfen, ein regelmäßiges Beben, es klang nach schwerer Arbeit und es klang weit weg. Man hörte es nur, wenn man darauf achtete. Bei jedem nebenbei gesprochenen Satz war es schon weg, es ging in den eigenen Wörtern unter. Aber da, wo es herkam, da war es sehr laut, das hörte man dem dunklen Gepolter doch noch an, wenn man nur darauf achtete. Das donnernde Schlagen war schon ein gutes Stück durch die Nacht gezogen, das war nur ein Rest, der bei uns ankam, ein wolkiger Nachhall. Wie aber hört man einem leisen Geräusch eigentlich an, dass es laut war?

Wenn in Filmen, in amerikanischen Filmen, Güterzüge durch endlose Landschaften rollen, dann gibt es da immer dieses einschläfernde metallische Geratter, das kennt vermutlich jeder. So war dieser Rhythmus, ein klein wenig langsamer vielleicht. Es kam, der Wind stand wohl günstig, vom Hafen her. Je nachdem, wie der Wind gerade weht, sind wir hier auf einmal recht nah am Hafen, besonders nachts, wenn der Autoverkehr nachlässt. Dann weht manchmal das Schiffstuten so unvermittelt heran, als könnten wir gleich vor der Haustür an Bord gehen. Südwind muss das dann wohl sein, ein seltener Wind. Südwest vielleicht.

Vielleicht war es Arbeit auf einer Werft, die wir da gehört haben, Arbeit in irgendeinem Hafenbetrieb, das Verladen von Containern, das wäre dann eine Erklärung wie in einem Hamburgbilderbuch. Vielleicht waren es auch nur Güterzüge, die den Hauptbahnhof querten. Wobei aber kein Zug so lang sein kann, wie dieses Geräusch war. Vielleicht haben sich Hafenarbeit und Züge und wer weiß was noch auf eine Art durchmischt, dass es nur zufällig diesen Rhythmus ergab, der dann ganz lange hielt, ein Zufall auf Dauer, gekommen um zu bleiben. Autos mit Sirenen fuhren vorbei und webten helleren Fäden in das nachtdunkle Wummern. Polizei, Feuerwehr, Krankenwagen, was auch immer, jedenfalls fuhren die in Angelegenheiten, die waren viel dringender als meine. Und als sie weg waren, wieder dieser dumpfe Rhythmus.

Ich lag nur da, legte das Buch weg und hörte in die Nacht. Ich fragte den Sohn: “Hörst du das auch?” Und dann lagen wir beide da und staunten und hörten das Maschinenherz der Stadt. Irgendwo von der Elbe her, von wo auch sonst.

***

Ansonsten viel Unblogbares.

***

Musik! Dota Kehr, Felix Meyer, Mascha Kaléko.

Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

***

Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank!

8 Kommentare

  1. Und wenn der Innenminister dann endlich zurücktritt, soll er doch bitte den Verkehrsminister gleich mitnehmen

  2. Mascha Kaleko – wenn ein Name doch immer wieder auftaucht und bestimmte Saiten zum Klingen bringt! Und jedesmal frage ich mich dann, warum ich mich noch immer nicht eingehend befasst habe mit ihr als Person. Das mache ich jetzt mal.

    Und Dank für das präzise Klangbild.

  3. Als ich noch so 2 km vom Güterbahnhof entfernt am Berghang wohnte, hörte ich nachts, wenn der Wind günstig stand, das Poltern enormer Metallteile und ab und an langgezogenes heiseres Quietschen wie von rostigen Walen.

  4. Zu meinen liebsten Kindheitserinnerungen gehört das leise Tuckern der Dieselmotoren der Rheinfrachtschiffe, wenn der Wind richtig stand, ich im Bett lag und ansonsten alles ruhig war. Im warmen Bett zu liegen und sich vorzustellen, man würde jetzt mit dem Schiff den Rhein von Köln rauf oder runter fahren und dann langsam hinüberzudämmern in den Schlaf. Toll!!

  5. @Kölner-Bernd: Wir wohnen ganz nah an der Elbe. Wir hören das Tuckern der alten Dieselmotoren hier auch, besonders wenn die Binnenschiffe stromaufwärts fahren. Leider sterben diese Schiffe aus. Die neuen Motoren hört man nur noch, wenn man direkt am Ufer steht.

  6. @Kölner-Bernd & @Hans-Georg: Ich bin nördlich von Köln in einem Kuhdorf quasi im Zentrum einer geradezu spitzen Westkurve des Rheins aufgewachsen, der Deich rundum vielleicht jeweils so zehn, fünfzehn (?) Kinderfahrradminuten entfernt vom Ortskern.

    Wenn wir bei Nacht din Rheinkähne tuckern hörten, wussten wir zwei Dinge: Wind aus Ost und ein hoher Pegel.

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert