Wir folgen der hinlänglich etablierten Tradition, kein Silvester ohne dieses Bild, eh klar. Es handelt sich beim Folgenden also um die Erinnerung an eine norddeutsch-ausgelassene Silvesterparty in einem Hamburger Vorort, der Abend ist bereits viele, viele Jahre her und eigentlich längst nicht mehr wahr. Deutlich erkennt man jedenfalls die sogenannte Hanseaten-Ekstase in meinem Blick.
Denn man muss gerade die süddeutschen und besonders die rheinländischen Leserinnen und Leser gelegentlich daran erinnern: wir hier oben, wir sind gar nicht so. Wir können auch ganz anders:
Gleicher Abend, nur einen Meter weiter: Die Herzdame, liebreizend wie stets und dabei auf diese einmalig nordostwestfälische Weise in strahlender Herzlichkeit gut gelaunt:
Und damit endet das Blogjahr. Ich lese gerade viel, ich bin bei Schnurre, Rühmkorf und Kirsch, eine etwas eigenartige Mischung. Da ich keine Jahresrückblicktexte mag und einigermaßen froh bin, die Tür hinter 2019 endlich zuzuwerfen, da mir auch gerade die Fantasie fehlt, mir 2020, Twintetwinte, wie man auf Helgoland wohl sagt, bildlich genug vorzustellen, sehe ich weder zurück noch voraus, sondern einfach in Bücher, quasi bewährte Lebensstrategie.
Aus Rühmkorfs Tagebuch nehme ich ein winziges Zitat mit ins nächste Jahr, eine Kleinigkeit nur, er hat sie nach einem Spaziergang an der Elbe notiert, und die Stelle geht mir schon seit Wochen nicht mehr aus dem Kopf. Er notiert da en passant: “Sturmflut bei Sonne. Jede Welle des Mitschreibens wert.” Ich glaube, ich bin im ganzen Jahr an keinem anderen Satz so hängengeblieben.
Beim Schnurre lese ich im Schattenfotografen, welches eines der schwierigsten Bücher in meinen Regalen ist. Kein Tagebuch, kein Roman, irgendwas dazwischen, Aufzeichnungen. Eine ernste Angelegenheit ist das, Tod und Krankheit spielen eine größere Rolle, Schicksal und dramentaugliche Themen auf jeder Seite. Man findet nach einer Weile Handlungsstränge, es geht aber auch ohne sie, man kann einfach so irgendwo hineinlesen. Es sind Ideen für Geschichten darin, lose Skizzen, Splitter aller Art nur, Geschichten, die er hätte schreiben können oder irgendwann später dann doch noch geschrieben hat, Fingerübungen und Nachtgedanken. Ich zitiere eine eher untypische Stelle, denn es passiert mir gar nicht so oft, dass ich beim Lesen laut lachen, schon gar nicht bei diesem Buch, aber hier dann doch einmal:
“Thomas Mann wird von Marlene Dietrich um einen Songtext gebeten. Beleidigt schickt er ihr sein Gesamtwerk, um darauf hinzuweisen, wer er sei. Marlene Dietrich ruft daraufhin bei ihm an, sie habe sich den Songtext lockerer vorgestellt.”
Wie gesagt, die Stelle ist völlig untypisch heiter, das Buch aber unbedingt empfehlenswert. Vielleicht nicht gerade als Bettlektüre, denn man träumt nicht gut danach, ich habe das ausführlich getestet. Schnurre zitiert an anderer Stelle Walter Benjamin, das ist auch nicht unwichtig: “Lass dir keinen Gedanken inkognito passieren und führe dein Notizheft so streng wie die Behörden das Fremdenregister.” Jo. Genau so.
Zum Schluss und ganz ohne Zitat noch eine fixe Erwähnung der Prosaschriften der Sarah Kirsch, mit deren Gedichten ich leider bisher rein gar nichts anfangen kann, deren andere Bücher mir aber verlässlich erstaunlich gute Laune bereiten. Ich habe erschreckend lange gebraucht, um darauf zu kommen, wieso das so ist, denn im Grunde ist das recht einfach. Im Gegensatz zu den meisten anderen Diaristen lässt sie das Negative größtenteils weg und überhöht das Positive eigenwillig stark, aber nicht auf diese entsetzlich milde esoterisch Art, sondern mit diebischer Freude, hexenhaft kichernd und völlig verschrullt. Sie sitzt hinterm Fenster, späht durch die Gardinen und freut sich, sie freut sich etwa, dass keiner zu Besuch kommt, dass das Wetter sagenhaft schlecht ist und also niemand draußen herumläuft, dass sie in aller Ruhe und stundenlang Musik hören oder lesen kann. Dass Termine platzen und sie also nicht reisen muss, dass sie gutes Essen hat und Bilder malen und mit der Hand völlig ungestört Gedichte und Tagebücher schreiben kann – sie freut sich dabei aber nie auf diese fromm-dankbare Art aus den Gratitude-Journalen, sondern immer so, als hätte sie ihre kleinen Freuden irgendwo listenreich und langfingrig geklaut und erbeutet und dann fröhlich pfeifend nach Hause verschleppt, sie freut sich immer so, dass man ein leises “Gnihihi” hört, jede Seite im Grunde ein Räuberlied. Und je länger ich darüber nachdenke, desto erstrebenswerter kommt mir diese Haltung vor.
Na, auf was man eben so herumdenkt.
Kommen Sie gut rüber, bewahren Sie unbedingt Haltung, ich schließe für 2019 mit den besten Wünschen zum Neuen Jahr. Wir sehen uns drüben.
Nur noch eben Musik! Da kann es heute natürlich nur The burning hell geben. Ein wunderbares Video.
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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister im Jahr 2020 zurücktreten sollte.
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Auch Ihnen ein gutes Jahr 2020. Der Anfang ist ja nun gemacht. “Lass dir keinen Gedanken inkognito passieren…“ daran ist noch zu arbeiten. Meine Gedanken fliegen doch gern einfach vorbei. Danke für The Burining Hell und für diesen Text und Ihre meistens sehr anregenden Texte im vergangenen Jahr.
Wie schön, das neue Jahr wieder mit den Bildern des Traumpaares beginnen zu können. Diese waren für mich vor Zeiten Auslöser, Ihrem Blog zu folgen. Und… was damit versprochen wurde, erfüllte sich!
Sie haben interessante Sätze zitiert (von den Autoren meiner Jugendjahre), aber Ihren eigenen Satz für 2020 „bewahren Sie unbedingt Haltung“ finde ich so wunderbar, dass ich ihn sofort als Motto übernehme.