Daumen hoch

Auf dem Fußweg kommt mir ein Mann entgegen, der fällt auf. Er hat, das sehe ich schon von weitem, die rechte Hand nach vorne und etwas nach oben gestreckt und dabei den Daumen gehoben. Als würde er gerade etwas loben wollen. Dazu grinst er auch noch. Er geht und sieht abwechselnd auf den Daumen und auf das, was dabei neben ihm auftaucht, daher sieht er einigermaßen seltsam aus, denn die Geste bleibt, obwohl er immer weiter geht, an Geschäften vorbei, an Menschen, Autos und Verkehrszeichen und sogar an einer Kreuzung. Wer macht denn so etwas? Müsste ich mir einen Monolog dazu vorstellen, der Mann, der allem und jedem den gehobenen Daumen zeigt, er würde etwa sagen: “Hey, tolle Haus hier, wirklich sehr gut. Das daneben auch! Und da, eine astreine Ampel, schönes Rot auch, wirklich gelungen. Und Sie da, wollen Sie gerade ein Eis kaufen? Stehen Sie deswegen an? Das finde ich richtig gut und sympathisch. Hier, eine Bäckerei, Bäckereien sind auch toll und da, ist das großartig! Eine richtige Bushaltestelle! Und da kommt auch schon ein Bus, wie schön ist das denn.”

So in der Art müsste der Mann vor sich hin reden, damit es zu seinem höchst irritierenden Gang über den Fußweg und zu seiner Geste passt. Mir kommt da also ein befremdlicher Straßenbejubler entgegen, ein notorischer Gutfinder, ein Claqueur des gemeinen Alltags, es ist wirklich einigermaßen merkwürdig. Ich meine, man kann ja ruhig hin und wieder etwas gut finden, irgendetwas, obwohl mir auch das manchmal schwer genug fällt, aber alles? Pauschal? 

Erst als ich den Mann endlich passiere, erkenne ich, was den in seinem vermeintlichen Wahnsinn antreibt. Auf der Spitze des emporgereckten Daumens sitzt nämlich ein Marienkäfer und den strahlt also der Mann so an und für ihn sieht er sich um, wo er den denn bloß mal absetzen könnte. Hier ist ja alles nur Stein und Blech, die Gegend ist nicht eben käferfreundlich, Stadtmitte eben. Da, vor der Pizzeria, da steht so ein Busch in einem Kasten, da endlich wird er ihn los. Und er bückt sich etwas und streift, immer noch breit grinsend, das Käferchen an ein Blättchen und guckt auch noch etwas, ob es da auch gut weiterkommt und nicht etwa runterfällt.

Er sieht es nicht mehr, der Mann, aber ich hebe solidarisch meinen Daumen in seine Richtung. Was wieder beweist, dass das Positive sich auch verbreiten kann. Vergisst man ja leicht. 

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3 Kommentare

  1. Ich wiederhole mich, aber egal, ich tue es sehr, sehr, sehr gerne, weil das wieder so eine strahlende Perle ist, so eine kleine Kostbarkeit: „Danke, Herr Buddenbohm, für’s Herr-Buddenbohm-Sein!“. Ich bin gerade sehr berührt.

  2. Ja, der so wichtige zweite Blick!
    Vielleicht darf ich eine vergleichbare Geschichte erzählen – nur inhaltlichlich, nicht der (unnachahmlichen) Form nach:
    Ich fuhr eines relativ späten Abends auf einer sehr breiten, praktisch leeren Straße hinter einem Bus her. Dieser bremste plötzlich stark ab und fuhr nur noch Schritttempo. Meine Gedanken waren nicht die allerfreundlichsten – bis ich im Scheinwerferlicht des Busses die Igelfamilie sah, die dort die Straße überquert hatte. Als die Tiere im Park zur Rechten in (relativer) Sicherheit waren, ging es auch auf der Straße weiter – und mein Herz schmolz vor Sympathiefür den aufmerksamen Busfahrer.

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