Rückseite
Ich habe zu danken, erstens für die überaus freundliche und dazu auch noch mit viel Aufwand verbundene Zusendung von „On looking“ von Alexandra Horowitz. Das ist Fachlektüre für Menschen, die um den Block gehen. Die Autorin hat ihren Gang um den Block in New York mit etlichen Experten gemacht und versucht, dabei von deren Kenntnissen zu lernen, sie hat sich mit Insektenforschern, Schriftkundigen, Kleinkindern, Ärzten und anderen Profis mehr unterhalten, jede und jeder natürlich mit einem ganz anderen Blick auf das, was da ist. Und darüber wollen wir ja schreiben, ne. Also ich jedenfalls.
Genau passend dazu kamen drei kleine Notizbücher von Field Notes, das sind solche, die in die Innentasche des Sakkos passen. Die sind auch wichtig, denn ohne die kann man ja nicht rausgehen. Also ich jedenfalls nicht. Ganz herzliche Dank für die Sendungen!
Vorderseite
Das Bild ist ein, zwei Wochen alt. Es war deutlich wärmer als es an diesem kühlen Herbstmorgen ist, an dem ich nun schreibe. Es war noch sommerlich da draußen und sommermodisch liefen die Menschen noch herum. Das hat sich mit dem heutigen Tag für Hamburg erledigt und ist nun Vergangenheit, der Sommer 2020 ist passé, been there, done that. Aber an diesem Tag, um den es hier geht – das war noch schönstes T-Shirt-Wetter, da waren die Annehmlichkeiten eines gelungenen Septembers noch überall zu spüren. Über der Schrebergartenanlage hing eine tief entspannte und ruhige Atmosphäre, einige Rosen blühten noch, das war also diese zögernde Stunde, von der man in den Gedichten liest und die Waage war angehalten.
Ich lag auf dem Rasen und sah so vor mich hin, denn ich beschäftige mich in diesem etwas seltsamen Jahr intensiv mit dem Nichtstun. Sie können in Ratgebern zur besseren Lebensführung oft lesen, dass man in jedem Jahr etwas lernen soll, und ich habe beschlossen, mich in diesem Jahr intensiv um Nichts zu kümmern. Also um das Nichts, um die leeren Momente, um die Pausen, um den Weißraum. Kein leichtes Thema, ich weiß, aber ich kann etwas tricksen, denn immer, wenn ich nichts mache, fällt mir etwas ein – und dann schreibe ich das einfach auf und mache dann zwar nicht nichts, aber die Ideen kommen doch aus dem Nichts und das will ich gelten lassen. Man muss sich Regeln erfinden, mit denen man gut leben kann. Wo war ich?
Ich lag da also auf meiner Liege in dieser ausgesprochen milden Nachmittagssonne, als das Eichhörnchen an mir vorbeiging. Das Eichhörnchen, das natürlich eines von vielen gewesen sein könnte, aber ich denke es mir immer als nur eines, als das Eichhörnchen vom Dienst, es ist ein personalisiertes Eichhörnchen. Es verhielt sich an diesem Tag etwas seltsam, denn es ging tatsächlich langsam. Das machen die sonst bekanntlich nicht, Eichhörnchen haben es immer eilig, man sieht sie nur springend, laufend, rennend, rasend, kletternd oder hüpfend, aber so ohne jede Eile schlendernd, das war ungewöhnlich. Es war, so schien es mir, tief in Gedanken. Es ging quer über den Rasen vom Weißdorn zur Weide und nickte mir im Vorbeigehen nur flüchtig zu, es hatte kein Interesse an Smalltalk oder Austausch. Es kletterte gemächlich die Weide hoch, auf der es gar nichts verloren hatte, da es dort nichts Eßbares finden würde. Es setzte sich dort oben aber auf einen Ast und sah weiter ausgesprochen nachdenklich aus, es arbeitete erheblich in seinem Kopf. Ich glaube eigentlich nicht, dass Eichhörnchen oft in Ruhe nachdenken, womit ich der Art aber keineswegs zu nahe treten möchte. Es war einfach ungewöhnlich.
Wäre es nicht schön, fragte ich mich, wenn man das auch könnte. Einfach umstandslos einen Baum hoch, wenn man mal gründlich nachdenken muss, und sich dann alles in großer Ruhe von oben besehen. Wir als Menschen denken ja mehr von unten her und dann auch noch in die Tiefe, der Ansatz ist vielleicht ganz verkehrt?
Ich lag da und sah hoch zum Eichhörnchen, das Eichhörnchen saß oben auf seinem Ast und sah über mich hinweg. Wir dachten uns beide unsere Teile und machten nichts und das Licht im Garten war ausgesprochen golden. An einem der untersten Äste der Weide waren ein paar Blätter, die wurden gerade gelb. Irgendwann sah ich wieder hoch, da war das Eichhörnchen nicht mehr da. Vielleicht aber sah auch das Eichhörnchen irgendwann runter, und ich war nicht mehr da. Wer wird es so genau nehmen.
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So eine besonders schöne September-Postkarte, hach! Danke für so viel Spätsommer-Poésie. Die drucke ich aus und hänge sie auf!
Die zwei Fragezeichen waren eigentlich ein Herz.
Man sollte Ihnen jede Woche Geschenke schicken, nur damit solche tollen Postkarten als Antwort kommen. Danke, dass alle Leser in den Genuss kommen!
vollkommene entspannung gibt mir diese geschichte- danke dafür.
Hat DPD es am Ende dann doch geschafft? Schön!
Ich nehme dafür den Gedanken mit dem Nichts und den mit dem ‚Von oben her nachdenken‘ mit und freue mich über die Postkarte. Besten Dank! 🙂
Ich finde Gedanken ins Wasser hinein denken auch effektiv.
Also, ich meine, wo das Eichhörnchen auf den Baum klettert, taugt mir ein Ufer zum fruchtbaren Denken.
Irgendeins.
Jeder nach seiner Façon.