Trinkgeld Oktober, Ergebnisbericht

Im Oktober und darüber hinaus haben wir das Projekt vorbereitet und gestartet, das große Projekt. Wir haben die Wohnung neu aufgeteilt und nahezu jedes Möbelstück neu hin- oder auch wegsortiert. Es war ein klein wenig aufwendig, doch, doch, das kann ich nicht anders sagen. Das Verlagern von großen Bücherwänden etwa ist immer wieder beeindruckend, da sich die Bücher ja physisch verändern, sobald sie ein Regalbrett verlassen haben. Sie nehmen auf dem Fußboden mehr Raum ein als im Regal, sie wirken zahlreicher, wesentlich zahlreicher als an der Wand, man steht in einer raumgreifenden Buchexplosion, sobald die Bände nicht mehr comme il faut stehen und dann fallen natürlich auch Stapel um, immer fallen Stapel um, Sortierung kann man vergessen und man arbeitet sich durch ein Chaos, das noch vor zehn Minuten nicht da war und das dauert dann.

Egal. Die Söhne haben jetzt also jeder ein Zimmer. Wir haben, da wir im Grunde keine Lust auf die ganze Arbeit hatten, etliche Möbelstücke aufgebaut gelassen und auf puzzlegamemäßige Art durch mehrere Türen und um Ecken bugsiert, ich denke noch im Nachhinein, da müssen Wunder im Spiel gewesen sein. Das kann so gar nicht gepasst haben, das kam in Geometrie einfach nicht vor. Die Herzdame und ich haben uns jetzt komplett ins Wohnzimmer verdrückt, aus dem in dieser Wohnung etwas unsinnig riesigen Flur haben wir noch eine Art Wohnzimmersurrogatextrakt gemacht – und es ist alles viel besser, als wir dachten. Der Plan geht geradezu sensationell gut auf, es fühlt sich jeder in seinem Raum wohl. Es gibt mehr und bessere Plätze als vorher, es wirkt alles geordneter und auch geliebter, besser eingerichtet, netter dekoriert. Es ist jetzt ein ansprechenderes Zuhause, es fühlt sich etwas so an als müssten wir uns dringend fragen: Wie bitte haben wir denn bloß vorher hier gehaust?

Ich bin noch damit beschäftigt, alle Plätze zu testen, denn ich sitze gerne irgendwo und denke und fühle von da aus neu. Ich bin, wie soll ich sagen, sitzplatzsensibel. Das ist vielleicht nicht so sachbuchtauglich und allgemein respektiert wie hochsensibel, aber was soll ich machen. Ich finde das jedenfalls wichtig, wie und wo man sitzt. Also nicht in dem Sinne, dass ich da anspruchsvoll wäre, das nun ganz und gar nicht, einer meiner Plätze ist jetzt sogar in der Abstellkammer, und das geht auch. Aber es ist eben alles anders, wenn man anders sitzt und ich finde das total interessant. Das hat Vorteile, denn während andere nach Sylt müssen, um irgendwas anregend zu finden, kann ich einfach mal den Stuhl wechseln. Ha! Jede Verschrobenheit ist irgendwie positiv zu nutzen, so sieht es nämlich aus.

Das Projekt neue Wohnung in der alten Wohnung ist groß, es läuft aber mit einem eher geringen Budget ab. Daran haben Sie sich in den letzten Wochen freundlich beteiligt. Etwa durch die Finanzierung der Fahrt ins Heimatdorf, wo die Herzdame, ich berichtete bereits, das absurdgrüne Sofa der Ugroßmutter der Söhne im gemieteten Transporter abgeholt hat. Aber wir haben auch wichtige Kleinigkeiten von den Trinkgeldern bezahlt, etwa die LED-Lights der Söhne. Die beiden können nämlich ohne größere Mengen von LED-Gedöns an Wänden und Decken nicht leben und können jetzt in ihren Zimmern ein solch nervenschädigendes Blinken einstellen, dass man als Elternteil nach wenigen Minuten diese Räume dringend wieder verlassen möchte. Wobei noch schnell aus pädagogischen Gründen Protest vorgetäuscht wird, versteht sich, wir bleiben soweit bemüht und machen erst dann die Türen hinter uns zu und klatschen uns ab.

Ferner erwarben wir noch weitere Dinge, die nicht viel kosten aber doch eine erhebliche Wirkung haben. Zimmerpflanzen, Kissen, so etwas. Eine Lampe. Eine Vase. Einen Teppich, der besonders war wichtig.

Wir sind nicht fertig, oh nein. Es wird sich noch bis Weihnachten hinziehen, nehme ich an, vielleicht dauert es auch noch länger, man hat ja gar keine Zeit für so etwas. Aber ich bin ungeheuer erleichtert, dass es gut ist – so ganz klar war mir das nämlich vorher nicht. Immerhin folgt diese Wohnung jetzt nicht mehr der Durchschnittslogik von Zweikindfamilien, sondern ist jetzt, soweit es bei ihrem etwas seltsamen Schnitt überhaupt geht, exakt auf unsere Spezialbedürfnisse und Gewohnheiten abgestimmt. Wir waren uns alle nicht sicher, ob diese Theorie aufgehen würde. Aber es läuft. Und ein wenig war das Projekt natürlich auch als dringend notwendige Gegenmaßnahme gegen unser seelisches Rekordtief gedacht, da die Fülle an nicht blogbaren Sonderproblemen bei uns nach wie vor schlichtweg erdrückend ist und schon deswegen ein Umzug einfach nicht in Frage kam. Der wäre uns in jeder Hinsicht zu viel gewesen, jedem von uns.

Und das Projekt war auch spannend, weil wir versuchsweise Stress mit Stress bekämpft haben. Aber wir sind gerade vorsichtig optimistisch. Lediglich Küche und Bad haben wir bisher überhaupt nicht angefasst, die wirken jetzt komisch. Irgendwie altbacken, neben dem Trend und heruntergewirtschaftet, die können eigentlich nicht zu dieser Wohnung gehören.

Wie immer also, ganz herzlichen Dank für jeden eingeworfenen Euro und jeden Cent! In den letzten Wochen haben die Summen hier erheblich zum Wohlgefühl beigetragen, und das ist gerade im Jahr 2020 doch wichtig, glaube ich.

Aber ich werde zur Sicherheit noch einige Abende entschlossen herumwohnen, um mir ganz sicher zu sein, was etwa neue Kissen für mich wirklich ausmachen. Wir wohnen herum und hören Playlists, so macht man das ja wohl. Die Herzdame wählte Chip Taylor, das war ausgezeichnet. Ich spielte Abdullah Ibrahim, kennen Sie den? Der macht so schöne Sachen wie das hier, es ist der Herr am Klavier. Ja, das sind 15 Minuten und es bricht dann einfach ab, aber es sind doch 15 verdammt gute Minuten, die hat man dann.

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Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

3 Kommentare

  1. Ich kenne eine Wohnung, in der war die Speisekammer, ein Kabuff von etwa 1.2 x 1,5 x 1,8 m, zuerst Spielzimmer und jetzt Nähzimmer, die Bewohner sind klein genug, es paßt so gerade eben. Ich erinnere mich auch an Dienstmädchenkammern, die ich bei Wohnungsbesichtigungen sah, in Berlin, sie waren über der Speisekammer und nicht hoch genug zum Stehen, ein Bett paßte knapp rein, in Hamburg sah ich mal eine, die nicht einmal ein Fenster hatte, die Bewohner waren angepaßt.

    Abdullah Ibrahim hieß mal Dollar Brand und von ihm habe ich gelernt, eine Melodie zu pfeifen und eine zweite dazu zu singen, genauer, ich habe dieses eine Stück von ihm gelernt, wo er das macht, mit Querflöte und Gesang.

  2. Es ist wahrscheinlich völlig unrealistisch, aber ich muss sagen, von dieser Wohnungsneugestaltung würde ich sehr gerne eine ‚Vorher/nachher‘-Geschichte à la ‚Schöner Wohnen‘ sehen. Oder so ein Wohnmagazin-Reportage-Special von wegen ‚So urig wohnt diese vierköpfige Familie im Herzen Hamburgs’… 😉 🙂

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