Es geht

Ich weiß nicht, was es ausgelöst hat. Vielleicht war es eine sich endlich doch noch einstellende überwältigende Unlust an sämtlichen Corona-Newstickern, vielleicht war es ein solch enormes und so schmerzlich unerfülltes Bedürfnis nach Ruhe, wie es sich nur mit stillen, ach, so herrlich stillen Buchseiten befriedigen lässt, jedenfalls scheine ich auf einmal wieder lesen zu können. Man soll natürlich den Tag nicht vor dem Abend loben und die Leselust nicht vor einem mittleren Gesamtwerk, aber doch, es geht, es geht. Im Moment geht es.

Somerset Maugham war es, der stand in dem öffentlichen Bücherschrank, der mir meine Lektüre mit diesem reizenden Zufallsfaktor zuspielt. Keines seiner großen Werke, „Seine erste Frau“, eine Literatursatire, eine Liebesgeschichte auch, aber ganz egal, was es nun ist, es ist immerhin ein Buch, bei dem ich dachte, na, ein paar Seiten gehen vielleicht noch, mal sehen, wie das weitergeht. Das baut er ja interessant auf, wie macht er das, wo führt das hin und was hat es mit dieser Frau denn nun auf sich. Dann noch, das war nur ein Zufall, ein paar Seiten in etwas von Rolf Vollmann, daraus dann zwei, drei Bücher auf eine Liste geschrieben und dann wieder die jähe Erkenntnis – meine Güte, was ich alles noch nicht kenne, es ist im Grunde völlig unfassbar. Gut, das ist so weit immerhin ganz vergnüglich und fühlt sich in etwa so an, als würde ich seelisch nach Hause kommen, das ist warm und freundlich und ich habe zum ersten Mal seit Ewigkeiten das Licht am Abend etwas später ausgemacht, weil das Kapitel noch nicht beendet war.

Jetzt aber ein paar Tage lang aufpassen, wenn ich an einem Bücherregal entlanggehe, dass ich nicht rückwärts in einen Roman falle, unansprechbar für den Rest der Welt, verloren der Gegenwart, wobei – warum eigentlich nicht.

Der Rest der Welt ist ohnehin nur noch genervt und weiß nicht mehr recht, wie er das noch ausdrücken soll, hier etwa der Herr Dueck. Aber da bin ich schon wieder im Newsfeed, wenn man nicht dauernd aufpasst. Was gibt es da, meine Güte, sehen Sie mal hier, es ist doch wirklich alles unter aller Sau. Aber es regnet, es stürmt, hier sitzt eine geliehene Katze, hier liegt Somerset Maugham und ich glaube, der Erzähler und diese Frau, Sie wissen schon. Und obwohl die Frau erst ein paar Seiten lang vorkommt und eigentlich nur etwas Fahrrad fährt, unbeholfen sogar, denn sie ist Anfängerin, versteht man das auch, diese Anziehungskraft, diese Ausstrahlung, und wäre man Figur in dieser Geschichte, man würde etwas dafür geben, sie halten zu dürfen, auffangen zu dürfen, bei ihren schlingernden Versuchen. Wie hat er das gemacht?

Ich gehe nachlesen. Der Regen schlägt an die Scheiben. Die Katze schnurrt. Es geht.

***

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Ein Kommentar

  1. Ich habe es irgendwann aufgegeben, mir Titel aufzulisten, von denen es heißt, frau müsse sie gelesen haben – die Liste wurde völlig uneinholbar.

    Wenn irgend möglich, suche ich die Stadtbibliothek auf (bei schwerem Entzug zu Unzeiten auch mal den öffentlichen Bücherschrank) und lasse mich dort von den Büchern finden.

    Der Anteil der Enttäuschungen dabei ist statistisch nicht der Rede wert.

    Das erlebe ich als so erholsam wie bereichernd.

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