Die Tapetentür

Marlen Haushofer, Die Tapetentür. Was für ein gutes Buch, denke ich beim Lesen alle paar Seiten, was für ein gutes Buch, noch besser als die Mansarde, die ich vorher gelesen habe. So viele Sätze sind darin, die ich unterstreichen könnte oder müsste. Ich lese in einem alten und angenehm angegilbten Bibliotheksexemplar, in dem das schon jemand für alle Nachfolgenden gemacht, mit einer angenehm hohen Trefferquote immerhin. Ja, denke ich, den Satz da hätte ich auch genommen, und den da auch, hier ein Kringel, ganz richtig, und da das Ausrufezeichen am Rand, das passt. Ich nicke der unbekannten Leserin, es war eine Frau, so schließe ich kenntnisfrei aus der Schrift, beifällig durch die Jahre zu, denn ich habe auch beschlossen, dass die Kringel in dem Buch schon alt sind. Es ist ein bitter gutes Buch, es beschäftigt mich erheblich.

Ein Nachwort ist in dem Buch, das ist von Manuel Reichart, sie zitiert darin den letzten Tagebucheintrag der Dichterin, sie wurde nur fünfzig Jahre alt: „Mach Dir keine Sorgen – alles wird vergebens gewesen sein – wie bei allen Menschen vor Dir. Eine völlig normale Geschichte.“ Ein, wie soll man sagen, durch und durch ehrwürdiger Tagebuchausklang.

Wenn ich überhaupt zu Rankings neigen würde, das Buch wäre Stand jetzt die Nummer eins in diesem Jahr. Aber es sind noch Monate übrig und ich neige gar nicht zu Rankings. Ich müsste schon zu lange darüber nachdenken, was die Nummer zwei war (Lucia Berlin vermutlich) und ich führe nicht einmal Listen, das mache ich aus nicht mehr rekonstruierbaren Gründen nur bei Hörbüchern.

Noch ein Zitat: „Als junges Mädchen bildete ich mir zeitweise ein, einen Stein in der Brust zu tragen. Damals wusste ich noch nicht, dass man diesen Zustand Depression nennt, litt aber häufiger darunter als heute. Junge Leute leiden überhaupt mehr, als man sich vorstellen kann, und ich begreife nicht, dass es bei den meisten Menschen den Anschein hat, sie hätten es völlig vergessen.“

Nicht gerade ein vergnügliches Buch, Sie merken es. Aber ein gutes.

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9 Kommentare

  1. haushofer ist groß. ich habe noch ein wenig mehr von dem zitat im blog herumstehen, weiß aber nicht mehr die quelle:

    Mach Dir keine Sorgen. Du hast zuviel und zu wenig gesehen, wie alle Menschen vor Dir. Du hast zuviel geweint, vielleicht auch zu wenig, wie alle Menschen vor Dir. Vielleicht hast Du zuviel geliebt und gehasst – aber nur wenige Jahre – zwanzig oder so. Was sind schon zwanzig Jahre? Dann war ein Teil von Dir tot, genau wie bei allen Menschen, die nicht mehr lieben oder hassen können. Du hast viele Schmerzen ertragen, ungern – wie alle Menschen vor Dir. Dein Körper war Dir sehr bald lästig, Du hast ihn nie geliebt. Das war schlecht für Dich – oder auch gut, denn an einem ungeliebten Körper hängt die Seele nicht sehr. Und was ist die Seele? Wahrscheinlich hast Du nie eine gehabt, nur Verstand, und der war nicht bedenkend der Gefühle. Oder war da manchmal noch etwas anderes? Für Augenblicke? Beim Anblick von Glockenblumen oder Katzenaugen und des Kummers um einen Menschen, oder gewisse Steine, Bäume und Statuen; der Schwalben über der grossen Stadt Rom.
    Mach Dir keine Sorgen.
    Auch wenn Du mit einer Seele behaftet wärest, sie wünscht sich nichts als tiefen, traumlosen Schlaf. Der ungeliebte Körper wird nicht mehr schmerzen. Blut, Fleisch, Knochen und Haut, alles wird ein Häufchen Asche sein und auch das Gehirn wird endlich aufhören zu denken.
    Dafür sei Gott bedankt, den es nicht gibt.
    Mach Dir keine Sorgen – alles wird vergebens gewesen sein – wie bei allen Menschen vor Dir.
    Eine völlig normale Geschichte.

    Steyr, 26. 2.1970
    Marlen Haushofer

  2. Und auch das Gehirn wird endlich aufhören zu denken. Und schon heule ich hier ein bisschen. Fängt ja gut an, diese Woche. Danke dennoch.

  3. sehr groß in seiner schönheit und beweglichkeit. je nach tagesverfassung meint er etwas ganz anderes für mich.

  4. Ich freue mich sehr über die Marlen Haushofer – Begeisterung.
    Ich habe „ die Wand“ bereits vor 35 Jahren das erste Mal gelesen und bin sogar nach Österreich gefahren und habe die Stelle besichtigt, wo sie wohl „ angedacht“ war.
    Ich besitze seit damals eine sehr sehr schöne Ausgabe von „ wir töten Stella“ und habe mir gedacht, ich möchte sie Ihnen schenken, weil ich schon so oft von Ihren Texten in dieser und jener Weise profitiert habe und mich täglich auf Ihren Text freue,-
    eigentlich hänge ich sehr an diesem Buch, aber, trotzdem…nach dem o.g. Motto….“ alles wird vergebens gewesen sein“……( ich finde das tröstlich)…also, wohin soll ich das Büchlein schicken?
    ganz lieber Gruß aus Krefeld NRW
    ulrike

  5. „Die Wand“ habe ich als TV-Film gesehen, sehr verstörend. Ich bin auf die Tapetentür gespannt.

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