Das ganze Sonntagsallerlei

Noch einmal eine unerwartet schöne Mittagsstunde, die Sonne kommt durch, es ist fast windstill auf dem Kirchhof. Ein Hubschrauber brummelt langsam über den aufgeklarten Himmel. Vom Spielplatz unten kommen helle und schnelle Ballgeräusche von der Tischtennisplatte, ein dumpferes Aufprallen vom Basketballkorb. Ein Kind jubelt immer wieder über Körbe oder Punkte, es klingt aufgeregt. Fahrradklingeln aus einer Nebenstraße, leise Gespräche. Vermutlich reden Eltern am Spielplatzrand unter den Linden, ich kann sie durch das dichte Laub nicht sehen.

Im Haus gegenüber hat jemand im Dachgeschoss alte CDs an Geschenkband gehängt und sie dann am Dach befestigt, sie wehen sachte vor den Fenstern hin und her und vergrämen Tauben von der Terrasse, so jedenfalls die Theorie. Eine Elster sitzt auf dem Dachfirst und sieht sich die Sache mit schiefgelegtem Kopf an. Lange.

Glocken läuten. Von meiner Warte hier oben aus wirkt die Stadt sonntäglich und ruhig, ein wenig kleinstädtisch vielleicht. Ein Mann geht mit seinem lustlosen Hund und sagt „Na komm“, aber in einem so freundlichen Tonfall, das ist kein Kommando, es ist mehr ein Vorschlag.

Lilafarbene Chrysanthemen in der Vase auf dem Wohnzimmertisch, an dem ich schreibe. Die Balkontür steht weit offen. Eine Biene fliegt ein kleines Stück in die Wohnung, zieht sich dann aber mit einem leisen Summen der Entschuldigung sofort wieder zurück und interessiert sich lieber eine Weile für den Lavendel im Blumenkasten.

In den Nachrichten geht Afghanistan nahezu kampflos verloren. An manchen Tagen ist die Gleichzeitigkeit von allem leichter, an manchen ist sie schwerer.

Auf einem Wahlkampfplakat an einer Laterne möchte ein Politiker, so steht es da, für Hamburg-Mitte nach Berlin. Da steht nicht einmal, warum er das möchte, es ist einfach so. Also so ja nun nicht, denke ich. Nach dem Wahlkampf zu urteilen, den ich hier auf den Straßen sehen kann, gibt es die CDU nicht mehr, sie kommt einfach nicht vor. Das soll mir recht sein, denke ich, und ein wenig Schwund ist eben immer.

Ein Sohn muss die Staaten der USA lernen, also alle an der Karte zeigen können. Ich lerne mit. Ich steigere mich von den peinlichsten Allgemeinbildungslücken zu „Kann ich alles“, sogar Delaware kann ich jetzt. Ich glaube, Delaware habe ich noch nie vorher gewusst. Ich kann jetzt sagen, ich habe heute etwas gelernt. Ich habe allerdings auch penetrante Ohrwürmer zu all den Staaten, die in Songs vorkommen, zu Vermont, Nebraska, Georgia, Mississippi, Alabama, West Virginia, Californication, ist gut, ich höre schon auf. Rechts oben in Maine spielte gerade die Serie Olive Kitteridge, die hatte ich Ihnen empfohlen und würde es wieder tun, die war gut. Kein Happy End, falls Sie da eine Warnung brauchen. Im Buch von Elizabeth Strout auch nicht.

Ich lese weiter und gerne in den Nachtflügen von Helen Macdonald. Präzises Beschreiben, wie gut sie das kann und wie ich das mag. Aufschreiben, was ist, aufschreiben, was man sieht. Immer weiter üben.

Ein Paar streitet sich jetzt auf der Straße, er schreit immer wieder und ohne weitere Argumente: „Du blöde Kuh!“ Sie sind beide schon älter, man hört es auch an den Beleidigungen.

Eine Mutter zieht ihr Kind vom Spielplatz weg, beugt sich runter und zischt es an: „Du musst dich schon wie ein normaler Mensch benehmen!“

Als ob das so einfach wäre, denke ich. Als ob das so einfach wäre.

Schon wieder Glockenläuten.

„Wenn die Spinne Langeweile

Fäden spinnt und ohne Eile

giftiggrau die Wand hochkriecht,

wenn‘s blank und frisch gebadet riecht …“

Der olle Degenhardt war das. Der ist schon seit hundert Jahren tot.

„Seh, hör und rieche nebenbei

Das ganze Sonntagsallerlei.“

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