Eine Dankespostkarte

Rückseite

Es kam Geschenkpost! Ein Buch von Stephen Moss über Schwalben, dieses hier. Es ist ein Buch von großer Hübschigkeit, es soll aber auch einen feinen Inhalt haben, so las ich in Rezensionen. Und eine große Standluftpumpe kam auch – wir haben vier Fahrräder, wir pumpen hier dauernd etwas auf, man möchte das möglichst einfach gestalten. Es stand nicht dabei, von wem beides kam, der Dank geht ins Ungewisse. Bereits vor einiger Zeit schon gab es von einer Leserin auf ganz anderem Zustellungsweg selbstgestrickte Socken für die Söhne, das sei hier auch endlich erwähnt, und zwar mit herzlichem Dank.

Vorderseite

Ich muss Dankespostkarten schnell schreiben, sonst klemme ich bei dem Thema auf ganz seltsame Art. Wenn ich sie aber schnell schreibe, dann ist es eine Szene aus den letzten Tagen, die hier abzubilden ist, insofern müssen per definitionem auch gänzlich nebensächliche Motive vorkommen, es wird nicht anders gehen. Und Sie wissen, ich halte mich nicht an das herkömmliche Kartenformat, auf meinen Karten sind Videosequenzen, manchmal sogar mit Tonspur oder Lichteffekten, aber eben nur als Text.

Heute also nur eine Kleinigkeit, im Grunde sogar ein klassischer Fall von: „Gehen Sie weiter, es gibt nichts zu sehen.“ Ich zeige es Ihnen aber dennoch, denn ich habe sonst nichts zu zeigen, es gab nur Home-Office. Und zwar sitze ich mit einem Sohn, dem gerade dringend Imbiss-Essen zugeführt werden muss, weil er soeben spontan ein Stück gewachsen ist, am Rande eines Platzes in der Nähe einer S-Bahn-Station. Es ist warm, man kann draußen noch entspannt herumsitzen, es ist ein Moment im sweet September. Unter einer Brücke in der Nähe steht einer und spielt auf einer Anlage sehr laute, basslastige Reggae-Musik und tanzt exaltiert dazu, als würde er allen vorleben wollen, wie selig uns der Reggae machen kann. Die Melodien und Rhythmen wehen herüber zu uns, gehen aber zwischendurch im Verkehrslärm und im S-Bahn-Geratter unter, es ist eine ausgesprochen großstädtische Geräuschkulisse. Ein paar Meter weiter lagern etliche Menschen, die allesamt, wie man unschwer erkennen kann, ein weit fortgeschrittenes Alkoholproblem haben. Einige dieser Menschen sprechen eine osteuropäische Sprache, einige sprechen Deutsch. Man kennt sich wohl in dieser Szene, man kann sich teils auch über die Sprachgrenzen hinweg verständigen, zumindest auf das Weiterreichen von Flaschen. Die Menschen machen nichts, abgesehen von dem, was sie vermutlich sehr oft tun, also trinken. Und sitzen, liegen und reden. Einer singt auch, aber leise.

Auftritt Polizei, gleich in Truppstärke, sechs oder acht Personen, weiblich und männlich in gleicher Anzahl. Sie tragen vorschriftsmäßig Masken, die lagernden Menschen natürlich nicht. Die Polizei bittet höflich um Räumung des Platzes, und das Wort höflich steht da nicht umsonst. Ausgesprochen höflich bitten sie um diese Räumung und einer der Menschen auf dem Boden sagt mit einiger Mühe etwas, das klingt wie: „Selbstverständlich, gerne“, nur mit weniger und eher unklaren Konsonanten. Die Information wird langsam durch die Gruppe gereicht, übersetzt und dann angeregt diskutiert. Eine Frau sammelt Sachen ein und fragt, wo man denn jetzt hin gehen könne? Ein Polizist erklärt, dass dieser Platz geräumt werden solle, mehr nicht, und er erläutert weiter, wo nach seiner Auffassung dieser Platz endet. Er zeigt dabei etwas vage in eine Richtung, eine weitere Frau mit halbvoller Wodkaflasche in der Hand folgt dem Hinweis mit den Augen und fixiert dort hinten mühsam einen Punkt. „Sehr wohl“, sagt sie dann, „sehr wohl.“

Sie gibt den Hinweis weiter. Die Lagernden stehen stöhnend auf und packen ihre verstreuten Sachen ein, einige haben noch Fragen. Die Damen und Herren von der Polizei beantworten alles freundlich und geduldig, überhaupt werden alle immer noch freundlicher, bis es schließlich ein Spaß wird, sich bei dieser Aktion möglichst formvollendet zu benehmen. Einer der Trinker sammelt ein herumfliegendes Papierschnipselchen auf und verbeugt sich vor einer Polizistin, ob er wohl eben an den Mülleimer hinter ihr treten dürfe, wo er das Papier dann mit großer Geste einwirft und etwas von schöner Ordnung murmelt, dann auf den Boden zeigt, der jetzt aussieht wie gefegt. Die anderen Polizisten beantworten währenddessen weiter Fragen und erklären dies und das, es geht um Uhrzeiten und Plätze, was man darf und was man nicht darf.

Die platzverwiesenen Menschen verabschieden sich schließlich von der Polizei, jeder wünscht die Tageszeit, einige winken, dann stützen sie sich gegenseitig und ziehen in Zeitlupe ab und etwa hundert Meter weiter. Die Uniformierten gehen zurück zu ihren Autos. Sie sehen noch einmal zurück und lachen, es ist, soweit ich das erkennen kann, kein herablassendes Lachen.

Und sonst ist nichts weiter passiert, und so etwas gibt es also auch noch. Man würde es natürlich eher in einer Zeitung oder einem Blog davon lesen, wenn die Szene eine irgendwie unangenehme Wendung genommen hätte. Polizeigewalt, wüste Schlägerei, Racial Profiling, etwas in der Art. Aber nichts davon, gar nichts. Das vielleicht auch mal festhalten?

Ich denke schon.

***

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3 Kommentare

  1. Ja, solche Szenen muss man auf jeden Fall festhalten. Für den Glauben an Sinn und Zweck der Menschheit und so, daß es manchmal halt doch noch geht, dieses Miteinander.

  2. Das ist nämlich die Krux mit der Berichterstattung in den Medien. 95 % davon ist negativ. Und dieses Verhältnis spiegelt – bei aller Misanthropie – nicht die Realität wieder. Gott sei Dank!

    Aber nach Tagesschau, Zeitung & Co. möchte man regelmäßig an dieser Spezies verzweifeln. Insofern schön, dass man auch mal sowas liest.

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